Niederösterreich – kein Platz fürs Gendern?

Wer die Meldungen der letzten Wochen mitverfolgt hat, wird unweigerlich auf Artikel, Meldungen und Aufschreie (vielleicht auch Zustimmungen) gestoßen sein, die sich zur aktuellen Gender-Debatte in Niederösterreich äußerten. Es wurde von Verboten berichtet, die innerhalb offizieller Dokumente des Bundeslandes das Gendern abschaffen sollen, doch woher kommt eigentlich die Aufregung über das Gendern und ist diese Aufregung berechtigt?

Wer einen Blick in das Deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, 1852 erstmals erschienen, wirft, wird schnell merken, dass feminine Formen von Bezeichnungen nichts Neues sind, scheinen doch hier Wörter wie “Gästin” auf. Der deutschen Sprache sind also nicht-maskuline Formen nicht fremd, liegt der Aufschrei also an den Sonderzeichen, wie dem Stern (*) oder dem Doppelpunkt (:), oder an der fehlenden Akzeptanz, dass wir in einer Gesellschaft leben, die als nichtbinär charakterisiert werden soll? 

Hier muss differenziert werden zwischen einer geschlechtergerechten und einer gendergerechten Sprache. Die Forderung nach einer geschlechtergerechten Sprache ist nicht neu, liegt doch hier eine Forderung vor, die seit Jahrzehnten verfolgbar ist. 1980 erschien in der deutschen Fachzeitschrift “Linguistische Berichte” ein Bericht von vier Sprachwissenschaftlerinnen mit dem Titel “Richtlinien zur Vermeidung sexistischen Sprachgebrauchs”. Aufgezeigt wurden hier Beispiele der sexistischen Sprache – mit einem Fokus auf die Bemerkung, dass maskuline Formen, wie Lehrer, für männliche Lehrer als auch für das Kollektiv (verstanden als generisches Maskulin) verwendet werden, während die feminine Form nur auf Frauen schließt. Weitere Forderungen folgten, die eine sprachliche Sichtbarkeit von all jenen Personen, die als nicht-männlich gelesen werden, verlangten. 

2019 wurde in Österreich die Geschlechtskategorie “divers” offiziell anerkannt, die Gesellschaft für deutsche Sprache äußerte sich 2020 wie folgt: “In dieser Hinsicht sind auch sprachliche Faktoren in Augenschein zu nehmen, um allen Geschlechtern gerecht zu werden.“ Es wird jedoch schnell deutlich, dass es in der deutschen Sprache keine einheitlichen, gendergerechten Formulierungen gibt. Während Formulierungen mit einer Doppelnennung (Kolleg/innen) vor allem in amtlichen Texten aufscheinen, sind Formen wie der Doppelpunkt (Lehrer:innen) einerseits inklusiver und andererseits auch für Personen, die einen Screenreader verwenden, hilfreicher, da jene besser erkannt werden. 

Die niederösterreichische Regierungskoalition von ÖVP und FPÖ will also Sonderzeichen aus der genderinklusiven Sprache verbannen. Die deutsche Sprache sollte gerecht sein. Der Wahnsinn soll aufhören. Doch, befördert diese Koalition nicht genau den Wahnsinn?

Im Endeffekt bewirkt die FPÖ mit diesem Verbot etwas, was diese eigentlich vermeiden wollte und auch immer wieder anprangert. Ein Verbot sich in komplett freier und jeglicher Form ausdrücken zu können. Eines der Grundargumente gegen Gendern ist eine Beschränkung der eigenen Ausdrucksweise und eine Vorschreibung wie eine jede einzelne Person zu reden hat. Was hierbei jedoch vergessen wird, ist das im privaten Bereich die Entscheidung jeder einzelnen Person frei zusteht, ob diese Gendern möchte oder nicht. Auf Bundesebene existieren ein Leitfaden und eine Empfehlung. Von einer gewaltvollen Beschränkung kann hier also bei weitem nicht die Rede sein. 

Mit der neuen Gesetzgebung in Niederösterreich hat die FPÖ jetzt aber genau das erreicht. Auf einmal soll es verboten sein, genderinklusive Sprache, welche über die Binarität von Mann und Frau hinausgeht, verwenden zu dürfen. Ist das nicht genau die Art von rechtlicher Beschränkung, gegen welche sich Gegner des Genderns so vehement wehren? Und wenn nicht alle Menschen in, zum Beispiel Gesetzestexten, angesprochen werden, gelten dann folgende Gesetze überhaupt für diese? Diese und noch viele weitere Fragen, Ungereimtheiten und Paradoxen wirft das neue Genderverbot auf. Wie dieses dann genau umgesetzt wird, bleibt mit Spannung abzuwarten.

Wer sich bei Fragen des Genderns und richtigen Formen unsicher ist, sollte mal einen Blick auf die folgende Website werfen: https://www.genderator.app/wb/index.aspx

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