Faszination „Squid Game“: Zu viel heiße Luft um nichts?

Seit der Veröffentlichung im September 2021 vergeht kaum ein Tag, an welchem die Netflix-Serie „Squid Game“ (dt. „Tintenfischspiel“) nicht für Schlagzeilen sorgt. Bei den Jugendlichen ist die Filmreihe sogar dermaßen beliebt, dass sie zur erfolgreichsten aller Zeiten aufstieg, mittlerweile ist auch eine zweite Staffel bestätigt. Doch zahlreiche Expert*innen warnen vor Schäden. Aber wie „schlecht“ ist die Serie tatsächlich? 

Seit Mitte September hält sich die südkoreanische Serie, die bereits seit 2008 in Planung war, fest in den Top-10-Charts bei Netflix in Österreich wie in anderen Ländern. Wie das deutsche Magazin „stern“ berichtete, habe „Squid Game“ mit 111 Millionen Zuschauern im ersten Monat den bisherigen Rekordhalter „Bridgerton“ (2020, 82 Millionen) abgelöst. Insgesamt werde die Serie dem Streaming-Riesen – vertraut man mehreren Hochrechnungen – rund 900 Millionen Dollar einspielen. 

Für den US-Konzern also ein mehr als lohnendes Geschäft. Doch Expert*innen warnen vor der Serie, da es aufgrund der Brutalität zu psychologischen Spätfolgen kommen könne und bereits Kinder im jungen Alter auf dem Schulhof die Serie nachspielen würden. Als Bestrafung für das „Versagen“ gäbe es zwar nicht den Tod, dafür aber Ohrfeigen oder Beschimpfungen. Für Hanna Christiansen, die als Professorin für klinische Kinder- und Jugendpsychologie an der Universität Marburg arbeitet, geht das zu weit. Wenn Heranwachsende beschimpft oder geschlagen würden, sei das Spiel „kein Spiel mehr“, so Christiansen gegenüber der „Tagesschau“. 

Selbes Spiel-Prinzip wie früher

Dr. Tobias Dienlin, Medienpsychologe und Professor für interaktive Kommunikation an der Universität Wien, sieht dies etwas anders. Auf Anfrage von frisch betont er, dass Kinder schon immer Spiele, in welchen es um „Leben und Tod“ ginge, gespielt hätten und verweist dabei auf „Räuber und Gendarm“ und „Cowboy und Indianer“. Bei diesen hätte man auch die Verlierer*innen „abgeknallt“. Dennoch sei klar, dass es verboten werden müsse, wenn Kinder beim Nachspielen Prügel beziehen würden. Erst wenn der Netflix-Hit „eins zu eins nachgespielt“ werden würde, wäre ein „Super-GAU“ erreicht. Dass dies passiere, sei zwar unwahrscheinlich, aber als „extreme Mutprobe“ durchaus vorstellbar, warnt Dienlin. 

Während eine Sprecherin der Bremer Bildungssenatorin gegenüber der „Tagesschau“ betont, dass die Serie ein „beängstigendes Ausmaß an Gewalt“ bereithalten würde, gibt Dienlin zu bedenken, dass es sich bei „Squid Game“ nicht um das erste Werk handle, welches einen brutalen Inhalt hat. Dennoch sei es „richtig und wichtig“, über die negativen Auswirkungen der Serie zu debattieren, da trotzdem ein gewisses „Risiko beim Anschauen“ vorhanden sei, so der Medienpsychologe, zumal die Jugendlichen auch stimmungstechnisch mit der Serie überfordert sein können. 

Ich war überrascht, dass diese Serie nicht ab 18 Jahren freigegeben wurde.

Dr. Tobias Dienlin

Zielgruppe selbst nur teilweise überzeugt

Dies scheint auch die Zielgruppe, welche hauptsächlich im Altersintervall von 16-20 Jahren liegt (75 Prozent aller Teilnehmer*innen), so zu bestätigen. Eine von frisch durchgeführte Umfrage mit 52 Mitwirkenden ergab, dass viele Heranwachsende „Squid Game“ als zu brutal empfinden. Vorwiegend unterstützen junge Frauen diesen Standpunkt, aber auch Burschen, welche mit 71 Prozent den höchsten Zielgruppenanteil darstellen, sind der Auffassung, dass die Serie „eine Spur zu gewalttätig“ ist. Interessant ist ebenfalls, dass die Weiterempfehlungsquote bei 90 Prozent liegt, sich aber nur 6 Prozent aller Befragten wegen „Squid Game“ ein Netflix-Abo kaufen würden. Dabei ist das Hauptproblem der Streaming-Anbieter selbst, da hohe monatliche Abo-Kosten anfallen. Trotz des medialen Höhenfluges mangelt es vielen der Jugendlichen auch an Interesse für die Serie beziehungsweise ist das Verhalten auf diese Tendenz zurückzuführen. „Squid Game“ sei zwar eine spannende Serie, retrospektiv aber den Hype nicht wert, so ein männlicher Teilnehmer. Eine weibliche Beteiligte hingegen lobte die Serie für die ausgeklügelte Storyline und dass man keine großen Namen brauche, um einen „Kassenschlager“ zu produzieren. 

Mehrwert erkennbar

Dass die Serie aber nicht nur unterhaltend auf die Jugendlichen wirkt, lässt sich auch daran festmachen, dass gesellschaftskritische Themen wie der Egoismus und der Kapitalismus als solche aufgefasst und von den Heranwachsenden bewusst wahrgenommen werden. Trotzdem würde man auch deutlich sehen, wie sich die Charaktere verbünden und Freundschaften schließen würden, so Dr. Tobias Dienlin, welcher darin eine ähnliche Situation wie im Krieg zwischen Soldat*innen erkennt. Im Endeffekt bestätigt Dienlin aber auch, dass „der Mensch dem Mensch ein Wolf ist“, da es schließlich in erster Linie immer noch ums eigene Überleben ginge. 

Außerdem hält der Medienpsychologe fest, dass die Faszination von „Squid Game“ nicht zuletzt darauf begründet, dass es keine „eindimensionale“ Serie sei. Es gäbe kaum eindeutig „böse“ Figuren. Auch die Betreiber des Spiels würden nicht unmoralisch handeln, viel mehr sind es die einzelnen Teilnehmer*innen, die freiwillig das tödliche Spiel weiterspielen wollen. Abschließend betont Dienlin auch, dass er es ausschließen könne, dass Langzeitfolgen entstehen würden, schließlich würden ja Leute, die sogenannte Shootergames spielen, auch „nicht automatisch zu Amokläufern“ mutieren. Man wird spätestens in der zweiten Staffel sehen, wie sich die Dinge entwickeln werden und darf auf diese schon gespannt sein. Ob das Level an Gewalt jedoch sinkt oder steigt, wird auch eine Überraschung sein.

Grafik: frisch/Gaisfuss (2)

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