Reiß dich z’amm, sei ein Mann!

Glosse. Es ist noch gar nicht lange her, dass ich stiller Zeuge eines Gespräches zwischen einem Vater und einem Buben wurde. Der Bursche, nicht älter als vielleicht fünf Jahre, weinte, weil er soeben gestürzt war und sich die Knie dabei aufgeschunden hatte. Anstatt das Kind zu trösten, schimpfte der Vater. Wie soll denn jemals ein echter Mann aus ihm werden, wenn ihm bei jedem kleinen Schmerz die Tränen kämen? 

Was aber macht denn einen „richtigen“ Mann aus? Um als ein solcher wahrgenommen zu werden, reicht es offenbar längst nicht, welches biologische Geschlecht man hat. Nein, man muss bereits im Kindesalter schnell lernen, welche Kriterien es früher oder später mal zu erfüllen gilt. Es gibt mehr als 10.000 davon: Ein „richtiger“ Mann muss sowohl physisch als auch psychisch stark sein. Er darf zudem nicht zurückhaltend, beruflich erfolglos oder gar emotional veranlagt sein. Immerhin würden diese Beispiele ja Anzeichen von Schwäche symbolisieren. 

Erfüllt man all diese und weitere Kriterien, die, um Platz zu sparen, hier nicht erwähnt werden, so fehlt noch ein entscheidender Punkt, um endgültig in den Olymp der „richtigen“ Männer aufgenommen zu werden: Möglichst viele intime Verhältnisse mit möglichst vielen Frauen zu haben. Klingt krank, ist es auch. So wird es aber spätestens beim Sexualkundeunterricht mehr oder weniger unmissverständlich vermittelt. Während der „richtige“ Mann also für ein solches Verhalten bejubelt wird, wird eine Frau bei selbigem abfällig als „Hure“ oder „Flittchen“ betitelt. Eigentlich absurd, lächerlich und äußerst sexisitisch, diese Denkweise. Und auch nicht sonderlich gesund: Viele (junge) Herren setzen sich selbst dadurch einem enormen (Wettbewerbs-) Druck aus, zumal sie am besten schon mit 12 Jahren mehrere Frauen „flachgelegt“ haben sollten. 

Kurz um, der „echte“ Mann hat wie James Bond zu sein, allerdings nicht wie der von Daniel Craig dargestellte. Dafür hat er viel zu viel seine „weiche Seite“ gezeigt. Und das ist schließlich ein No Go, will man als Mann etwas auf sich halten. Ein „echter“ Mann muss sich zusammenreißen können und Gefühle unterdrücken. Aber natürlich ist ein solches Verhalten auf die Dauer gesehen nicht ungesund. Beginnend mit dem Verhalten, das man „toxische Männlichkeit“ nennt (darunter versteht man, bewusst die eigene Aggressivität herauszukehren, um als Mann wahrgenommen zu werden), kann dies von häuslicher Gewalt über Depressionen bis hin zu Selbstmorden führen. Aber wer dem Druck nicht standhalten kann, sondern vielleicht auch Emotionen zeigt, der hat als Mann sowieso nichts in dieser Welt verloren. In der kaltherzigen Natur gilt nun mal das Gesetz der Stärkeren. 

Man braucht sich nur die Statistik anschauen: In den letzten drei Jahren gab es in Österreich mehr Selbstmorde unter Männern als unter Frauen. Das zeigen die Suizidberichte des Sozialministeriums aus den Jahren 2019, 2020 und 2021

Grafik: © frisch/Johannes Gaisfuss

Wenn aus dem am Anfang erwähnten Burschen einmal ein Mann wird, der unter der toxischen Männlichkeit und deren Folgen leidet, so wäre das nicht verwunderlich. Immerhin wurde er ja daraufhin erzogen, Gefühle gekonnt zu unterdrücken und stattdessen Aggressivität und Stärke zu zeigen. Was aber kann getan werden, dass es in Zukunft gar nicht erst soweit kommt? 

Es wird ein gesellschaftliches Umdenken benötigen, und zwar unter allen Geschlechtern. Wenn dies erreicht ist, werden sich viele (geschlechterübergreifende) Probleme ebenfalls verflüchtigen oder zumindest zurückgedrängt. Wichtig wäre, dass Männer aufstehen und den ersten Schritt machen. Dieser würde auch von mehr Mut und Stärke zeugen, als jede andere Aktion. Der Appell an alle Männer lautet daher: „Reiß dich z’amm, sei ein Mann“ – und mach den ersten Schritt! 

Wer sich genauer für das Phänomen „Männlichkeit“ interessiert, dem ist das Buch „Sei kein Mann“ von JJ Bola ans Herz zu legen. Auf rund 160 Seiten behandelt der Autor auf kurzweilige Art und Weise die Themen, die „einen Mann zum Mann machen“ und liefert dabei neue Einblicke in die Materie. Er belegt dabei, warum der Patriachalismus und das bewusste Festhalten an klassischen „Männlichkeit“-Mustern für alle Geschlechter schädlich ist. Ein Buchtipp, um ein besseres Verständnis für die Thematik zu erlangen. Erschienen ist Sei kein Mann im hanserblau-Verlag.

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