Lukiškės: Einst ein Ort des Grauens, heute ein Filmset

Alle die, die up-to-date mit Netflixs Megahit Stranger Things sind, werden eine Szene – gefilmt in einem russischen Gefängnis – bemerkt haben. Zunächst mag dies weder Fragen aufwerfen, noch auf Problematiken hinweisen. Wenn man sich jedoch genauer mit dem Drehort und der Geschichte des Gefängnisses auseinandersetzt, dauert es nicht lange, bis man auf Wut und Verzweiflung stößt. 

Bevor auf die Problematiken näher eingegangen wird, sollte vorab noch festgehalten werden, dass die folgende Thematisierung den Holocaust erwähnt. Die historische Betrachtung des Völkermords, der Gräueltaten des deutschen Regimes sowie die Nachwirkungen der Jahre 1938-45 sind alles andere als einfach. Schon der Begriff “Holocaust” wirft methodische und sprachfokussierte Fragen auf, die eingegrenzt werden müssten. Für den einfachen Lesefluss wird jedoch in den kommenden Zeilen der Begriff “Holocaust” verwendet. 

Die Szenen der Netflix-Serie wurden im Lukiškės Gefängnis in Litauen gedreht, ein Ort voller Grauen, der eine Geschichte von Leid, Menschenrechtsverletzungen und Tod erzählt. Lukiškės wurde 1904 eingeweiht und es dauerte nicht sonderlich lange – nämlich 10 Jahre – bis die erste Massenerschießung dort stattfand. Nach dem Einmarsch Hitlers in Polen am 1. September 1939, verwendeten die Nationalsozialisten Lukiškės als Folterort für Jüd*innen (aus unter anderem dem Ghetto Wilna), Roma und Sinti sowie politische Gefangene. 

Die meisten der über 100.000 hier festgehaltenen Menschen überlebten diesen Ort des Schreckens nicht und wurden im Zuge des Massakers von Ponary (1941-44) im angrenzenden Wald erschossen. Der Ort ist untrennbar mit der Geschichte des Völkermords, mit dem Holocaust und der nationalsozialistischen, menschenverachtenden Politik des “Dritten Reiches” verbunden. 

Eine Nacht im Stranger Things Airbnb

Allein diese Fakten sollten Unbehagen, ja sogar Wut auslösen, wenn man bedenkt, dass Netflix diesen Ort zu einem Filmset umfunktioniert hat. Jedoch ist dies nicht die Spitze des Eisberges.

Netflix und Stranger Things haben – ermutigt durch den Erfolg der neuen Staffel – mit Airbnb beschlossen, Lukiškės als Hotel anzubieten. Zimmer, die Stranger Things themed sind, sollen für um die 100 Euro pro Nacht vermietet werden, Touren durch den Drehort sollen angeboten werden – und die Verpflegung ist natürlich inkludiert. Wenn man dies in Kombination mit dem “neuen” Trend der numerischen Tattoos betrachtet, den Stranger Things ausgelöst hat, steht man vollkommen sprachlos da. 

Die Umfunktionierung historischer Orte ist oft unvermeidbar, aber das ist alles andere als vertretbar. Dies ist nicht vertretbar mit einer historischen Perspektive, nicht mit einer Perspektive der Erinnerung und definitiv nicht mit einer humanen Perspektive. Es ist unsere Aufgabe zu erinnern, nicht zu schweigen und all jene, die die Jahre 1938-1945 humoristisch und verzerrend darstellen wollen, darauf aufmerksam zu machen, welches Leid, welche Verzweiflung und welches Unverständnis wie eine Lawine über die Welt in diesen Jahren des Terrors eingebrochen ist. 

Ein Ausblick in die Zukunft

Airbnb und Netflix haben sich derzeit zu diesen Problematiken nicht geäußert. Die Stimmen der Verzweiflung und der Wut werden jedoch immer lauter. Man kann nur hoffen, dass Netflix, Stranger Things und Airbnb noch erwachen werden und sich von diesem Schritt distanzieren und sich für diese Idee entschuldigen werden. Für all jene, die auch heute noch von ihren Erinnerungen geplagt sind, für all jene, deren Familienmitgliedern durch diese schrecklichen Jahre gehen mussten.  

Wer sich gegen diese Aktion von Netflix und Airbnb wenden möchte, kann hier eine Petition unterschreiben

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