Martin Sprenger: „Das Leben ist zu wertvoll, um es mit Ängsten zu verschwenden“

In seinem Buch „Corona – Des Rätsels Lösung?“ (Seifert-Verlag) behandelt der bekannte Public-Health-Experte Dr. Martin Sprenger in einer Art „Pandemie-Rückschau“ praktisch alle relevanten Themen rundum Corona. Ob die Impfpflicht, die Schulschließungen, Lockdowns, soziale Ungleichheiten oder psychosoziale Folgen: Sprenger hält uns allen auf knapp 300 Seiten den Spiegel vor.

Es sind bereits unzählige Arbeiten und Studien, aber auch viele Bücher über die COVID-19-Pandemie geschrieben worden und es werden wohl auch noch sehr viele Texte – in welcher Form immer – folgen. Aus verschiedenen Disziplinen der Wissenschaft, in den Medien oder auch von ganz „normalen“ Bürgern. Eines weiß aber niemand: Wie wird sich die Menschheit, werden sich unsere Nachfahren, über die Jahre 2020 bis 2023 unterhalten? Wie werden sie unser Verhalten beziehungsweise jenes der Politik und anderer Entscheidungsträger beurteilen?

Es ist sicherlich vermessen, wenn wir jetzt schon behaupten, die COVID-19-Pandemie als abgeschlossenes Ereignis betrachten zu können. Erst recht nicht können wir behaupten, dass wir die Pandemie aus zeitlichem Abstand sachlich nüchtern und ohne großartige Emotionen beleuchten können. Das zeigt alleine schon die Tatsache, dass bei jedem Posting in den sozialen Medien schon der geringste Corona-Bezug sofort wieder die Wogen hochgehen lässt. Zwar nicht so gewaltig wie auch schon, aber das Prinzip funktioniert immer noch gleich: Die einen bejubeln dich, die anderen beschimpfen dich.

431 Fußnoten

Martin Sprenger versuchte dennoch einen über weite Teile nüchternen Blick auf die vergangenen Jahre, zumindest immer gut mit Studien und seriösen Quellen belegt. Daher auch die 431 Fußnoten, die manchmal einen guten Teil der Buchseite füllen. Der Regierung stellt er erwartungsgemäß kein gutes Zeugnis aus. Man könnte das Werk auch als Abrechnung mit der Coronapolitik missinterpretieren. Sprenger bleibt jedoch bis zum Schluss – im Gegensatz zu vielen anderen Kritikern der Regierungspolitik in diesem Bereich – optimistisch und wertschätzend.

Man muss wissen: Sprenger hatte bereits zu Beginn der Pandemie, Anfang/Mitte 2020 ein „Corona-Tagebuch“ veröffentlicht. Auf dieses aufbauend wollte er seine eigenen Aussagen überprüfen, aber auch jene der Regierenden. Alles in allem kritisiert Sprenger die zunehmende „Politisierung der Pandemie“ während der Jahre 2020 bis 2023, den „Populismus“ und die Missachtung der Interessen der jüngeren Bevölkerung besonders stark. Das Buch ist ein Plädoyer für mehr Gelassenheit, einen „gesunden“ Blick auf die Geschehnisse, der Entwicklungen zwar ernst nimmt, aber auch nicht überdramatisiert. Der Gesundheitswissenschaftler versucht auf möglichst daten- und evidenzbasiertem Weg, sich der Wahrheit zu nähern. Obwohl er sich selber zugestehen muss: Niemand weiß, was genau richtig war oder welche Maßnahmen wirklich geholfen haben. Auch Sprenger nicht. Grund dafür sind fehlende Studien, aber auch die Beschränktheit der Wissenschaft im Allgemeinen; selbst die besten Wissenschaftler können nicht in die Zukunft sehen.

Sprengers leidenschaftlicher Einsatz für Kinder

Wer Martin Sprenger in Zusammenhang mit Corona googelt, wird sofort auf einige Interviews mit ihm stoßen. Was immer aufgefallen ist: Die Kinder und Jugendlichen waren und sind Sprenger ein besonderes Anliegen. Darum wird es an diesen Stellen im sonst so sachlichen Buch leidenschaftlich. „Wie blind muss eine Politik, müssen Medien sein, um die Unverhältnismäßigkeit vieler Maßnahmen nicht endlich zur Kenntnis zu nehmen? Wie ignorant muss an dem Narrativ festgehalten werden, dass Kinder und Jugendliche mehr durch SARS-CoV-2 bedroht sind als durch die Nebenwirkungen der Maßnahmen? Er ist unverzeihlich, dass die Politik entgegen besseren Wissens, entgegen der vorhandenen Evidenz so lange an Maßnahmen festgehalten hat, die Kindern und Jugendlichen erwiesenermaßen mehr geschadet als genutzt haben“, heißt es auf Seite 153 in einem eigenen Kapitel, das Dr. Martin Sprenger nur den Kindern und Jugendlichen gewidmet hat.

Offenlegung

Martin Sprenger schreibt in seinem Buch auch – völlig zurecht – dass es üblich ist, das Wissenschaftler*innen ihre Interessenskonflikte offenlegen. Der Autor dieses Beitrags hat zwar keine materiellen Interessenskonflikte (abgesehen von dem im Medienbereich völlig üblichen Rezensionsexemplar). Aber ich, geschätzte Leser*innen, bin bei der Bewertung dieses Buches befangen. Ich kann es zwar zusammenfassen, aber die folgende Wertung kann nicht objektiv ausfallen.

Warum? In den Pandemiejahren habe ich gleich zwei Petitionen von und mit Martin Sprenger unterstützt und sogar mitinitiiert. Sprenger selbst habe ich zweimal getroffen, beides Mal für die Jugendpresse, beides Mal zu Interviews (einmal digital, einmal in Vorarlberg). In bin der Überzeugung, dass ich bei der Interviewführung neutral war, was auch die Rückmeldungen zu den Gesprächen zeigte.

Im Jugendpresse-Vorstand habe ich es selber zum Thema gemacht, dass ich die Petitionen von Sprenger unterstützen werde. Und holte mir für die Kommunikation auch auf den Kanälen der JPÖ die formelle Genehmigung meiner Vorstandskolleg*innen. Die Freigabe wurde einstimmig unter dem damaligen Vorstand gefasst. Meine Kolleg*innen stimmten nicht etwa deshalb zu, weil wir in der Sachfrage alle gleicher Meinung waren. Sondern vielmehr, weil meine Argumente, dass dies eine besondere Situation sei und wir auch ein Jugendverein wären, wohl überzeugt haben dürften. Ein einmaliger Vorgang. Ich hätte mir nie vorstellen können, je aktionistisch in meiner Rolle als Vorsitzender und Chefredakteur dieses Vereins sein zu wollen. Aber ich fühlte mich von den Regierenden dazu gezwungen.

Resümee

Dennoch eine kurze Bewertung: Auch wenn Sprenger im Buch seinem eigenen Anspruch, seine eigenen Thesen zu überprüfen, nicht immer in dem Ausmaß nachgekommen ist, wie ich es zu Beginn der Lektüre erhofft hatte (und es mehr um die Aussagen anderer ging), ist das Werk eine einmalig gut belegte wie besonnene und optimistische Zusammenfassung dreier unfassbarer Jahre. Absolute Leseempfehlung.

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