Der Rausch – Ein Filmriss

Die gesellschaftlich anerkannteste Droge dominiert Thomas Vinterbergs neuen Film „Der Rausch“. Für alle, die ihn noch nicht gesehen haben: Von Alkohol ist die Rede. Auf tragikomische Weise bekommen wir eine Einführung, wie das Leben ausschauen könnte, wenn man mit mindestens 0,5 Promille durch den Tag wankt.

In der Hauptrolle, einem vom Leben gelangweilten Geschichtelehrer, findet sich Mads Mikkelsen. Manchen ist er vielleicht noch als Bond-Bösewicht in „Casino Royale“ in Erinnerung, anderen etwa aus „Die Jagd“, in dem er und Vinterberg sich schon 2012 als kräftige Kombination herausgestellt hatten. Dieser Lehrer ist ein Charakter, den wir schon aus vielen Filmen kennen und der immer noch so gut funktioniert, weil wir fürchten, uns eines Tages genau dahin zu entwickeln. Seine Schüler hören ihm nicht mehr zu, die Elternvertreter versuchen, ihn loszuwerden, und auch zuhause bei Frau und Kindern ist jede Liebe zueinander am Verblassen. Trägheit und Müdigkeit ziehen sich durch die immer länger werdenden Tage. Zusammen mit drei Freunden, die ebenfalls an der Schule unterrichten, beschließt Mikkelsen, sich einer Theorie des norwegischen Psychiaters Finn Skårderud anzunehmen, wonach Menschen um einen Alkoholwert von 0.5 Promille zu wenig geboren würden. Und nein, diese These ist nicht wissenschaftlich belegt. Darauf trinken sie sich jeden Morgen auf den genannten Spiegel hoch und die Welt merkt das. Sein Unterricht wird lustiger, sein Leben bunter, seine Ehe zum ersten Mal seit Langem wieder romantisch und körperlich. Doch, wie man es erwartet, wird der anfängliche Spaß zu einer Sucht, die zu einem immer radikalerem Trinkverhalten, zu Problemen im Job und zu zerbrochenen Haushalten und Familien führt.

Was an diesem Film besonders beeindruckt ist der Ton, der, obwohl ein sehr ernstes Thema im Mittelpunkt steht, streckenweise ein durchaus lustiger ist. Wie die Charaktere machen die Zuschauer*innen gewissermaßen die Karriere eines Alkoholikers durch. Die Anfangs amüsante Darstellung der Gegebenheiten, die Ästhetik des Alkohols, die langsam aber sicher in eine Tragödie verschwimmt.

Eine Hintergrundgeschichte, die man auf der Leinwand nicht sehen, dafür aber spüren kann, beeinflusst diesen Ton weiter. Denn Vinterberg wollte seine Tochter Ida für eine Rolle casten, doch vier Tage nach Produktionsbeginn starb die 19-Jährige bei einem Autounfall. Der traumatisierte Regisseur machte weiter und sein Ergebnis ist ein regelrechter Rollercoaster. Hin und her gerissen zwischen der Komödie und der Tragödie. Schauspieler, die am Set tatsächlich zu trinken beginnen, bis es ihnen wieder verboten wird. All das merkt man in diesem Chaos, das diese Problematik so wunderbar ordnet.

Trotz dieses wilden Drehs ist der Film technisch gesehen mehr als nur gelungen. Vinterbergs Gefühl für die Handlung, die uns so verrückt vermittelt wird, wurde sogar für den Oscar in der Kategorie „Regie“ nominiert. Die Kamera ist farbenfroh und makellos. Vom ersten bis zum letzten Bild wackelt die handgehaltene Aufnahme, in diesem unaufhörlichen Rausch, und während wir am betrunkenen Abend die Schönheit und Perfektion sehen, wachen wir am nächsten Morgen mit einer Belichtung auf, die so grell ist, dass sie in allen Fenstern ausbrennt. Der einzige Kritikpunkt, den man aufbringen könnte, betrifft Kleinigkeiten im Drehbuch. Nach dem anfänglichen Enthusiasmus, den der Alkoholexzess mit sich bringt, wird sich, wie erwartet, der Spieß umdrehen. Doch auch das ist auch kein Vorwurf, schließlich kann man nicht verlangen, dass er Alkoholsucht als solche promotet.

Der Film wird jedoch nie einseitig. Uns werden vier Charaktere mit vier größtenteils unterschiedlichen Verläufen vorgestellt und das reicht vom einem, der in seiner Sucht erkrankt und letztlich daran zugrunde geht, bis hin zum Hauptcharakter, der, wenn er ein gewisses Level nicht übersteigt, durchaus positiv reagiert. Alkohol ist nicht gut und nicht schlecht. Alkohol entspannt, belustig, lässt uns weniger nachdenken. Alkohol kann zu Krankheit, Obdachlosigkeit und mehr noch führen, aber hin und wieder in einer gewissen Dosis auch zu einem lustigen Abend.

Autor*in: