Das selbe Stück und doch ganz anders

Es ist zwar bereits seine fünfte Inszenierung, doch heuer ist alles anders: Der „Jedermann“-Regisseur Michael Sturminger setzt mit der Aufarbeitung dieses Stoffs neue Maßstäbe. Bereits die Bühne ist im Vergleich zu den Vorjahren gänzlich anders gestaltet, wenngleich auch mit ein paar Ähnlichkeiten. So erinnern beispielsweise die Türme an den Seiten der Bühne an jene der vorangegangenen Jahre.  

Während die Geschlechterrollen und einige Szenen – darunter zum Beispiel seit heuer ein Boxkampf – neu interpretiert und in modernisierter Form gezeigt wurden, so hält sich die Inszenierung fast streng an den Originaltext von Festspiel-Mitgründer Hugo von Hofmannsthal, wenngleich auch ein relativ moderner „Morgenchoral für Jedermann“ eingearbeitet wurde. Noch nie zuvor wurde so stark verdeutlicht, dass es sich bei den Allegorien wirklich um solche handelt, zumal einige Rollen auch von einigen Schauspieler*innen gemeinsam „verkörpert“ werden. Das Star-Ensemble aus 2020, welches unter anderem mit Peter Lohmeyer, Tobias Moretti, Caroline Peters und Edith Clever besetzt war, wurde fast gänzlich ersetzt, erfreulicherweise mit nicht minder qualifizierten Schauspieler*innen. 

Ein Boxkampf im Barock-Gewand – in dieser Form wurde eine Szene noch nie interpretiert. Foto: SF/Matthias Horn

In Sturmingers Neuinszenierung spielt mit Edith Clever, letztes Jahr noch als „Jedermanns Mutter“ zu sehen, erstmals seit 2006 wieder eine Frau den Tod, um einiges ruhiger und auch leiser als ihr Vorgänger. Dies verleiht dem Stück eine besondere Aura, wenn sie auf der Bühne den Protagonisten auffordert, die Reise in die Unterwelt anzutreten. Ihre Worte sind sehr entschlossen und vermitteln den Anschein, dass es kein Entkommen gibt. Kurzum, Clever ist eine mehr als würdige Nachfolgerin des längstdienenden Tod-Darstellers Peter Lohmeyer.

Der Tod (Edith Clever) befiehlt Jedermann (Lars Eidinger), mit ihm zu kommen. Foto: © SF/Matthias Horn

Echte Tränen als Zeugnis der Hingabe

Ebenso große Fußstapfen hatte der neue „Jedermann“ Lars Eidinger zu füllen. Die Übernahme der Titelrolle von Tobias Moretti war keine leichte Aufgabe, der Berliner verkörpert allerdings schon fast beängstigend gut den reichen und arroganten Mann. Als er aber nach dem Erscheinen des Todes um eine*n Gefährtin*en für die Reise sucht, und ihm klar wird, dass niemand mit ihm gehen will, sind echte Tränen inklusive. Das zeigt abermals, wie stark sich Eidinger mit der Rolle auseinandergesetzt hat und dass er – wenn er auf der Bühne steht – eins mit dem Charakter „Jedermann“ ist. Trotzdem muss man sagen, dass es wohl noch nächstes Jahr brauchen wird, damit er auf dem selben Niveau den reichen Mann spielen kann wie sein Vorgänger. 

Als geborene Buhlschaft erweist sich Verena Altenberger, die ebenfalls neu in dieser Spielsaison ist. Sie lebt die mit wenig Text bemessene Rolle wie keine Andere vor ihr, es passt einfach alles grandios zusammen. Trotz der – im Gegensatz zu vielen anderen Rollen – wenigen Präsenz, hat es heuer kaum ein*e andere*r ihrer Kolleg*innen geschafft, mit so viel Feingefühl und Überzeugung zu spielen. Generell eine der stärksten Performances des Abends. Es bleibt zu hoffen, dass sie dem Ensemble auch in den nächsten Jahren erhalten bleibt. Durch ihre Interpretation spürt man auch regelrecht, dass die Buhlschaft vollständig emanzipiert und nicht abhängig von Jedermann ist. Auf Augenhöhe mit dem „Jedermann“ hat man so noch nie eine Buhlschaft gesehen. Ein wichtiger Schritt von Altenberger, die nicht zuletzt für diese Darstellung und wegen ihrer Frisur von konservativen Kreisen sogar harsche Kritik einstecken musste.

Interessant ist auch, dass die Abschiedsszene zwischen Jedermann und seiner Buhlschaft neu erarbeitet wurde. So sieht man erstmals in diesem Stück eine Frau, die den Titelgeber nicht nur wegen des Geldes geliebt hat, sondern tatsächlich liebte. Die Szene kommt ohne Worte aus und verdeutlicht durch ein starkes Auftreten die innige Beziehung zwischen den Charakteren, auch, wenn die Buhlschaft trotzdem nicht in das Reich der Toten mitgehen möchte. 

Schrill und fesselnd

Insgesamt ist die Inszenierung sehr schrill und farbenfroh, im Vergleich zu den bisherigen Aufführungen noch nie in vergleichbarer Form gespielt und inszeniert worden. Die Todesszene der Hauptfigur ist insofern reizvoll, da sie sehr an Darstellungen des gestorbenen Christus angelehnt ist. Für Gänsehaut-Momente sorgen wie jedes Jahr die gespenstischen „JE-DER-MANN“-Rufe. Auf den ersten Anblick scheint die Inszenierung gewöhnungsbedürftig, jedoch ist bei dieser Darbietung das Gegenteil der Fall. Man fühlt sich sofort direkt zu den Dramatis Personae hineinversetzt und kommt nicht mehr los, man fühlt mit dem Sterbenden und seiner schmerzhaften Erkenntnis, keine wirklichen Freunde zu haben, mit. 

Der sterbende „Jedermann“ (Lars Eidinger) in den Armen des Todes (Edith Clever) – ein Anblick wie aus Kreuzigungsdarstellungen. Foto: © SF/Matthias Horn

Für Schmunzeln sorgt auch Schauspielerin Mavie Hörbiger, die als erste weibliche Person in die Rolle des Teufels schlüpft. Und sie knüpft damit direkt an ihre Vorgänger an: Humorvoll, aber mit dem Ziel, Jedermann in sprichwörtlich letzter Sekunde noch zum Umdenken zu bewegen. Auch das „machohafte“ Gehabe dieses Charakters vermittelt sie nahezu perfekt. 

Abschließend bleibt nur zu sagen, dass die Neuinszenierung gelungen ist und zweifellos an die Wiederaufnahmen der letzten Jahre anknüpfen kann. Chapeau! 

Infobox „Jedermann – Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes“

„Jedermann – Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ ist ein Stück des Österreichers und Salzburger-Festspiele-Mitgründer Hugo von Hofmannsthal. Es wird seit 1920 jedes Jahr von einer Vielzahl bekannter und erfolgreicher Schauspieler*innen bei dem bedeutendsten Kulturfestival der Welt aufgeführt. Es handelt von der Titelperson „Jedermann“, einem verwöhnten und reichen Mann, welcher kein Gefühl für seine Mitmenschen hat. Gott, dem diese Entwicklung nicht gefällt, befiehlt dem Tod, den Protagonisten abzuholen. „Jedermann“ hingegen hat Angst davor, alleine vor die*den letzte*n Richter*in zu treten und will sich ein Geleit suchen. Hier erkennt er, dass ihm keiner beistehen will, aber der Glaube bis zum Schluss für ihn da ist, den er allerdings die Jahre davor verlacht hat. Schließlich stirbt die Hauptperson frei von seinen Sünden.

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