Dracula: Das politische Statement hinter der Abenteuergeschichte

Bram Stokers „Dracula“ ist heutzutage ein Klassiker der Literatur und Filmwelt. Doch als der Roman vor genau 125 Jahren erschien, herrschten in Europa politisch ganz andere Zustände. Steckt hinter der Erzählung lediglich eine unterhaltsame Gruselgeschichte oder ein Manifest politischen Gedankengutes?

Da mittlerweile so gut wie jeder die Figur des Dracula kennt, die wenigsten allerdings den Roman gelesen haben, ist hier der Inhalt in knappen Worten zusammengefasst: Wie so viele Teile des Buches beginnt Stoker seine Erzählung mit einem Tagebucheintrag. Verfasst wird er von einem jungen Anwalt, der nach Transsylvanien reist, um dort einem bestimmten Grafen beim Kauf einer Liegenschaft in England zu verhelfen. Als er dort eintrifft, lernt er den mysteriösen Gutherren, Graf Dracula, kennen, der ihn nach einer Anfangs freundlichen Begrüßung in seinem Schloss gefangen hält und für seine Zwecke missbraucht. In seiner Haft erlebt der junge Anwalt die schaurigsten Geschichten von Vampiren und anderen Untoten, die ihn in der Nacht heimsuchen.

Wie aus einem Alptraum erwacht er und reist zurück nach England zu seiner Verlobten. Doch der Graf folgt ihm, breitet sich auf der Insel aus und treibt sein Unwesen mit Männern, Frauen und Kindern in der brutalsten Art. Schon bald schließt sich der junge Anwalt mit einer Gruppe anderer Männer zusammen, um sich gegen den Grafen zu wehren und ihn ein für alle Mal zu töten. Dracula, der diese Gefahr wittert, verwirft seine Pläne, um sich auf in seine Heimat zu machen, wohin ihm die Helden der Geschichte folgen und ihn letztlich zur Strecke bringen.

Ein politisches Werk?

Stoker muss der Auffassung gewesen sein, ein modernes Meisterwerk mit Berührungspunkten zur romantischen Vergangenheit verfasst zu haben. Und tatsächlich findet sich viel der damaligen Politik entsprechendes Gedankengut. Beginnend mit dem Konzept des Klassenkampfes. Denn eine Gruppe bürgerlicher Männer nimmt es unter Verwendung von Mitteln der Wissenschaft mit dem adeligen Grafen auf. Sie kämpfen juristisch, medizinisch, alles in allem mit neuen Mitteln gegen einen alten Gegner.

Als großer Überbegriff findet sich jedoch rasch die weniger fortschrittliche Xenophobie, was soviel wie Fremdenhass bedeutet, und sich besonders im aufkommenden Nationalismus und im Rassismus widerspiegelt. Zu Lebzeiten des Autors fand der Höhepunkt des englischen Kolonialismus statt und eine für den Roman besonders bedeutsame Einwanderungswelle östlicher Völker, die viele Engländer einschüchterte. Da diese Einwanderer oft der jüdischen Religion angehörten, bringt uns das gleich zum nächsten Punkt.

Denn obwohl dies durch das Raster der meisten Leser fällt, hat „Dracula“ unverkennbar antisemitische Züge. Zwar spricht Stoker von einem kleinen Halbsatz abgesehen die jüdische Bevölkerung mit keinem Wort an, doch zahlreiche Metaphern nehmen ihm hier die Arbeit ab. Das Blutsaugen hat beispielsweise zweierlei Bedeutung. Zum einen läuft dies auf einen dem Mittelalter entspringenden aber zu Stokers Zeiten noch immer verbreiteten Aberglauben zurück. Angeblich fallen christliche Kinder Juden zum Opfer, die sie schänden und ihr Blut trinken, was schon deshalb wenig Sinn macht, da im jüdischen Glauben eine noch distanziertere Haltung zu Blut besteht als ohnehin schon im christlichen. Zum anderen wird das Bluttrinken auch für Geldgier und als Metapher für Parasiten verwendet, was sich besonders später in der Nazi-Propaganda zeigt.

Und damit sind noch nicht einmal alle politischen Anspielungen des Romans abgedeckt. Wenn man die Kraft hat, kann man sich noch weiter auf den literarischen Umgang Stokers mit Frauen, Sinti und Roma, slavischen Völkern und geistig Beeinträchtigten vertiefen. Die Frage, die sich aber vor Allem stellt, lautet, wieso man sich mit einem solchen Roman heute noch befassen sollte.

Im Kontext der Zeit

Dies ist erstens dahingehend zu beantworten, als die Literatur im Kontext der Zeit zu lesen ist. Es ist einfach nicht sinnführend, alle Bücher mit fragwürdigen Ansichten auf den Scheiterhaufen zu werfen, zumal angesichts vergangener Weltbilder nicht viel Kunst übrigbliebe. Zweitens zeigt „Dracula“ als historische Quelle aufschlussreich, wie Misstrauen vor Minderheiten geschürt wurde und ist meiner Meinung nach für einen Teil des in den folgenden Jahrzehnten immer radikaler werdenden Rassismus verantwortlich. Denn genau das ist es, was dieser Gruselroman erreichte: Angst.

Letztlich lässt sich Xenophobie am Charakter Bram Stokers perfekt ableiten. Denn in seinem ganzen Leben betrat Stoker den Hauptschauplatz der Handlung, Rumänien, kein einziges Mal. Natürlich glich er dies mit einer intensiven Recherche aus, die so tief ging, dass die im Roman erwähnten Abfahrtszeiten mit den dortigen Regionalzügen übereinstimmten, doch das Land blieb ihm fremd. Und alles, was man nicht kennenlernt, alles, was im Schatten bleibt, wird den Mantel des Unheimlichen nicht mehr los.

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