White Saviourism – Helfen für das gute Gewissen

Wenn weiße Europäer und Amerikaner in den Süden reisen, um dort an Entwicklungsprojekten zu arbeiten, erklingen lobende Worte für die vermeintlichen Retter der Armen. Leider ist das, was den örtlichen Communities von den Weltverbesserern übrigbleibt, oft nur der bittere Nachgeschmack von Selbstinszenierung und Rassismus.

Die Matura ist in der Tasche, das Studium abgeschlossen, die Scheidung beendet – ein idealer Zeitpunkt, um noch schnell die Welt zu retten. Glücklicherweise hat der weiße Weltverbesserer es heutzutage hier einfacher als seine Vorfahren. Kolonialismus ist out, das neue Stichwort heißt „Freiwilligenarbeit.“

Unzählige Organisationen bieten Programme zur zeitlich begrenzten Arbeit in fernen Ländern. Von Kinderbetreuung über Krankenpflege bis hin zu Naturschutz und Bauprojekten gibt es für jedes Budget die passende Gewissenserleichterung; Anreise, Verpflegung und Krankenversicherung selbstverständlich inklusive. Mit im Gepäck ist selten eine fachliche Ausbildung, umso öfter aber die Kamera (für ein inspirierendes Instagramfoto inmitten dankbarer Kinder), ein krampfhaft „afrikanisches“ Outfit und der sogenannte White Saviour Complex (deutsch: Weiße Retterin- bzw. Weißer Retter-Komplex).

Der White Saviour Complex

Hinter dem White Saviour Complex steckt das Phänomen, wenn Weiße, meist Amerikaner oder Europäer in Länder reisen, die südlich des Äquator liegen, um die dort heimische Bevölkerung zu „retten“ oder ihre Situation zu verbessern und gleichzeitig sich selbst als edle, weiße Retter und Helden darzustellen – vorzugsweise auf Instagram, Facebook und Co. Die Problematiken bei diesem Konzept sind zahlreich und haben, so unangenehm dieser Gedanke auch ist, ihre Wurzeln im Rassismus.

Programme und Bilder dieser Art befeuern die landläufigen Stereotypen, wonach afrikanische Länder unterentwickelt und hilfsbedürftig sind und den westlichen Ländern damit zwangsläufig unterlegen. Weiße werden zu Helden und Heldinnen der Schwarzen; ein Narrativ, das so alt ist wie die Zeit. Wer nun immer noch den Kopf schüttelt und denkt „Nein, ich bin kein Rassist, ich will wirklich helfen!“, dem hilft vielleicht der folgende Gedankengang auf die Sprünge:

Dem Konzept der freiwilligen Entwicklungsarbeit liegt die zutiefst rassistische Annahme zugrunde, ein jeder Weißer, selbst ohne jedwede fachliche Ausbildung oder Ortskenntnis, könne die geforderte Arbeit besser erledigen als die lokale, meist schwarze, Bevölkerung.

Gefährliche Hilfe

Dabei sind die White Saviours oft trotz guter Intentionen nicht hilfreich und, im schlimmsten Falle, sogar gefährlich. Seit einigen Jahren nimmt mit der Anzahl der Instagram-Influencer auch die Berichterstattung über die Freiwilligenarbeit in verschiedenen Ländern zu. Wer genau hinsieht, wird dann zwischen Fotos von tanzenden Kinder, Geschichten, die auf die Tränendrüsen drücken und langbeinigen, weißen Frauen mit Trommeln am Schoß, auch vereinzelte, kritische Berichte finden, meist aus der Perspektive der Landesbewohner geschriebenen. Sie erzählen von Helfern, die ohne Bauerfahrung versuchen, Schulen aufzubauen – und deren Arbeit oft stillschweigend in tiefster Nacht von lokalen Bauarbeitern repariert wird, um den Erfolg des Programmes nicht zu gefährden.

Neben solchen, schon fast komisch anmutenden Geschichten, gibt es dann auch die tragischen. Eine davon ist der Fall der Amerikanerin Renee Bach. Die 18-Jährige gründete 2009 eine NGO in Uganda unter dem Namen „Serving His Children“ (SHC), die es sich zum Ziel gesetzt hatte, Mangelernährung bei Kindern und andere Folgen der vor Ort herrschenden Armut zu bekämpfen. Im Laufe der nächsten sechs Jahre führte Bach hunderte von Behandlungen an teilweise schwer kranken Kindern durch – ohne jede medizinische Ausbildung. Über einhundert Kinder verstarben unter der Pflege von SHC, die diese Tode so lange wie möglich zu verschleiern versuchten. Einige Eltern der verstorbenen Kinder erheben nun Klage, sowohl gegen SHC als auch gegen Renee Bach. Unterstützt werden sie dabei von der ugandischen Organisation „No White Saviours“, die aktiv gegen Problematik der White Saviours vorgeht und sich für anti-rassistische Entwicklungsarbeit einsetzt.

Zwar nicht gefährlich für das Leben, sehr wohl aber für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sind auch jene Projekte, die sich vorrangig mit Kinderbetreuung oder Bildung beschäftigen. Nicht selten kommen die vermeintlichen Helfer selbst mit bloß gebrochenem Englisch in ihrem Zielland an und geben dieses ohne jede pädagogische Ausbildung an die Kinder weiter. Bei der Arbeit in Waisenhäusern oder anderen Kinderbetreuungseinrichtungen kommt auch der oft komplexe mentale Gesundheits- und Entwicklungszustand der Kinder hinzu, der bei unausgebildeten Betreuungspersonen leicht zur Überforderung und fraglichen Erziehungsmethoden führen kann. Letztlich stellt sich auch die Frage, wie förderlich monatlich wechselnde Bezugspersonen für Kinder sind, die ohnehin in instabilen Verhältnissen leben.

Die richtigen Schritte

Was kann man also tun, um wirklich etwas zu verändern? Nun, zuerst einmal sollte jeder bei sich selbst beginnen. Das eurozentrische Weltbild, das in vielen Köpfen tief verankert ist, hat ausgedient. Solange wir die europäische Kultur als überlegen ansehen, fördern wir aktiv rassistisches Gedankengut. Weiters ist es längst an der Zeit, unsere Perspektive auf den afrikanischen Kontinent verändern. Wer nach Assoziationen zu Uganda oder Nigeria gefragt wird, sagt selten etwas anderes als Armut und Trockenheit – eine tragisch kurze, unvollständige und beleidigende Liste. Weiters zählt die Motivation der Helfenden. Wer noch nie in der städtischen Suppenküche ausgeholfen hat, sich aber zu Freiwilligenarbeit in Ghana berufen fühlt, sollte hinterfragen, ob die eigenen Motive wirklich so selbstlos sind, wie sie nach außen hin wirken.

Um dennoch unseren Beitrag zu den weltweit existierenden Problemen zu leisten, ist die Förderung von Projekten und Spendenaktionen, die vor Ort agieren, der richtige Schritt. Direkte Geldflüsse in die zu fördernden Communities stellen sicher, dass die eigentlichen Empfänger anstatt deren Mittelsmänner profitieren.

Die Lösung heißt externe Hilfe zur Selbsthilfe – ganz ohne weiße Retter und Abhängigkeitsverhältnisse. Doch solange sich Schecks nicht so fotogen präsentieren lassen wie glückliche Kindergesichter, ist es bis dahin wohl noch ein weiter Weg.

Dieser Kommentar wurde am 30. Juni 2020 auf dem mittlerweile stillgelegten Portal www.yna.at veröffentlicht.

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