Hin und Her, Polarisierung und Kompromisslosigkeit. Der derzeitige US-Präsidentschaftswahlkampf ist bedeutend scharf und auch bedeutend knapp. Republikaner Donald Trump und Demokratin Kamala Harris liegen in den Umfragen, wenige Tage vor der Wahl am 5. November 2024, Kopf an Kopf. Wer tatsächlich nach dem 5. November als Sieger in das Weiße Haus einziehen darf, entscheidet die US-amerikanische Bevölkerung, die sich zurzeit einen Weg durch den undurchsichtigen und verwirrenden Dschungel der Medien und Berichterstattung bahnen muss. Überall polarisierende Meinungen, skandalöse Aussagen und echauffierte Stimmen, dennoch ist zu hoffen, dass Rationalität und Einsicht am 5. November regieren werden.
Ereignisreich. Der bisherige Wahlkampf in den USA war ereignisreich. Begonnen hat er mehr oder weniger ruhig mit einer Wiederauflage des vorherigen Wahlkampfes. Joe Biden, der derzeit amtierende Präsident, fand seinen Herausforderer in seinem vormaligen Rivalen Donald Trump. Hat der regierende Präsident meist einen guten Vorsprung oder zumindest eine solide Basis, auf der er seinen Wahlkampf aufbauen kann, schien sich das Demokratische Establishment mit Joe Biden zu sicher zu sein. Biden, derzeit 81 Jahre alt und damit der älteste Präsident in der Geschichte der USA ist, zeigte schon zu beginn des Wahlkampfes einige kleine Schwächen und Aussetzer, die aber immer nur als Zufälle abgetan wurden. Spätestens seit der Konfrontation zwischen Biden und Trump im Juni wurde aber auch dem radikalsten Biden-Hardliner bewusst, dass dieser Kandidat die Wahl wohl nicht gewinnen wird. Bidens Auftritt war ein trauriges Schauspiel, das von der Hybris seiner Partei zeugt. Alleine vor dem Amt des Präsidenten und vor der Person des langdienenden Joe Biden hätte das Parteiestablishment auf jeden Fall Respekt zeigen sollen; dieser Auftritt, seine Vor- und Nachbereitung waren wenig achtungsvoll. Die Demokratische Partei ist so riesig, dass man doch sicher (früher) einen passenden Kandidaten oder eine Kandidatin gefunden hätte.
Die Umfrageergebnisse, die auch schon vor der Debatte nicht überragend für die Demokraten ausgesehen haben, machten nach der Fernsehübertragung einen Sprung. Vor dem Juni 2024 und Bidens Auftritt waren die Umfragen meist mehr oder weniger ausgeglichen, mal hatten die Republikaner, mal die Demokraten die Nase vorne. Nach dem 27. Juni aber kürten beinahe alle durchgeführten Umfragen Donald Trump zum Sieger. Trump, der bei öffentlichen Auftritten meist mit wenig Zurückhaltung von sich Reden macht, war vergleichsweise ruhig und ließ Biden über seine eigenen Sätze stolpern. Eine Taktik, die in einem solchen Fall nicht besser hätte gewählt werden können. Auch wenn Trump die meisten Umfragen nach der Debatte für sich entscheiden konnte, waren seine Vorsprünge nicht uneinholbar. Biden, mit einer gutüberlegten Kampagne, hätte sicherlich noch aufholen können. Am 13. Juli aber wird Trump während einer Wahlkampfrede in Pennsylvania angeschossen und landet in Verbindung mit seinem sehr medienaffinen Auftreten nun wirklich auf jeder Titelseite. Joe Biden, man möchte hier wohl annehmen durch diesen großen Aufschwung an Publicity für Trump zusätzlich geschwächt, tritt am 21. Juli von seiner Kandidatur für das Weiße Haus zurück. An seine Stelle trat seine bisherige Vize-Präsidentin Kamala Harris.
Neuer Wind?
Harris brachte neuen Wind in die schlaffen Segel des demokratischen Wahlkampfes, ihre, im Vergleich zum Amtsinhaber, „große“ Jugend schien wieder Hoffnungen auf einen Sieg der Demokraten keimen zu lassen. Vom Beginn ihres Wahlkampfes im Juli bis in den September war Harris in den meisten Umfragen vorne. Seit September aber konnte Trump wieder aufholen und gewann einige der im Oktober durchgeführten Umfragen. Seit September sind es auch nur noch zwei – wirklich ernstzunehmende – Kandidaten um das Rennen um das Weiße Haus, seitdem Robert F. Kennedy Jr. seine Kampagne Ende August beendete und Donald Trump seine Unterstützung zusagte.
Es ist überraschend zu sehen, dass Trump, trotz seiner scheinbar sehr populären Gegnerin, wieder auf einem angeblichen Gewinnerkurs steht. Den Grund dafür mag man in der fehlenden Tiefe Harris‘ Profil finden. Viele ihrer Aussagen während des Wahlkampfes klingen beim ersten Hinhören wohl recht gut, es verbirgt sich dahinter meist nur wenig Aussage und Profil. Doch Aussagen und Profil sind die einzigen Waffen, mit denen man einen Wahlkampf gegen Donald Trump gewinnen kann.
Trump, der – egal was man von ihm hält – ein Meister des Bespielens der Medien ist, ist nur mit einer gezielten und scharfen Taktik zu umgehen. Donald Trump hat schon immer nach dem Prinzip „no news is bad news“ agiert. In seiner Zeit als Reality-TV-Star und Hauptfokus der US-amerikanischen Boulevardpresse ließ er keine Möglichkeit ungenutzt, um auf die Titelblätter zu kommen und es hat sich scheinbar ausgezahlt. Trump ist nun einer der bekanntesten Menschen der USA, die Medien tanzen nach seiner Pfeife und folgen ihm auf Schritt und Tritt. Seine Aussagen, Auftritte und Aktionen werden von Medienunternehmen, die ihm feindlich gesinnt sind, ununterbrochen aufgenommen und ausgeschlachtet, um Meinung zu machen. Schlagzeilen jagen Schlagzeilen und neue Skandale und diverseste Aussagen des Präsidentschaftskandidaten werden tagtäglich verbreitet. Auch wenn die andere Seite, die Kamala Harris feindlich gesinnt ist, in dieser Hinsicht keinen Deut besser ist, sind doch vor allem die Medienunternehmen genau zu hinterfragen, die sich besonders über Trump echauffieren. Denn genau diese Handhabe ist die Taktik Trumps, er möchte um jeden Preis auf den Titelblättern bleiben, egal ob nun mit Skandalen oder mit Lob. Kamala Harris selbst hat die wohl beste Strategie in der TV-Debatte im September 2024 präsentiert, von der danach und davor nur die Wenigsten Gebrauch gemacht haben: Nicht auf Trump und seinen modus operandi eingehen, sondern sich auf die eigene Leistung konzentrieren.
Der Dschungel
Vor diesem undurchsichtigen Dschungel der US-amerikanischen Medien scheint man fast zu verzweifeln, sie wirken polarisierter als je zuvor, es scheint – egal auf welchem Kanal oder in welchem Medium – immer nur die eigene Zuhörendenschaft angesprochen zu werden, womit sich die schon bald unüberwindbaren Gräben nur noch verbreitern. Es ist zu hoffen, dass sich diese scheinbar kompromisslose Lage wieder in dialogfreundliche Zustände zurückentwickelt und Rationalität sowie Kompromissfreude die US-amerikanische Politik beherrscht, um Radikalisierungen und Polarisierungen – beider Seiten – in Schach zu halten.
Es ist zu hoffen, dass die US-amerikanische Demokratie, die sich gerne als Leuchtfeuer des westlichen Denkens sieht, gestärkt und nicht geschwächt aus diesem Wahlkampf hervorgeht. Auch wenn Journalismus aus Europa nicht wirklich viel zur Glättung der Wogen in den Vereinigten Staaten von Amerika beitragen kann, ist doch zu hoffen, dass sich die US-amerikanische Bevölkerung durch Rationalität und Einsicht leiten lässt, wenn sie am 5. November zur Wahlurne schreitet.