Es ist der wohl am heißesten ersehnte Film des Jahres und zugleich der letzte mit Daniel Craig als Titelfigur: Der neue James Bond. „Keine Zeit zu Sterben“ – so der Titel – ist ein melodramatischer Abschied für Daniel Craig geworden und lässt keinen Stein auf dem anderen.
Es ist ein Action-Streifen, welcher tief in der Vergangenheit wühlt und am Ende die Zusammenhänge seit dem ersten Film mit Daniel Craig als Spitzenspion erst richtig verstehen lässt. Der Beginn ist nicht nur ein Rückblick in die Kindheit der Bond-Liebe Madeleine Swann (Léa Seydoux), sondern weist auch einige Parallelen zu „Casino Royale“ auf. Die Titelfigur quittiert den Dienst an seinem Land, um Zeit mit seiner Freundin verbringen zu können, wird aber schließlich von dieser enttäuscht. Das Band zwischen Madeleine, die angeblich etwas mit der Geheimorganisation „Spectre“ zu tun haben soll, und dem ehrlich enttäuschten Bond ist gerissen. Die nicht verstehende und zutiefst traurige Psychotherapeutin wird von dem Agenten in einen Zug gesteckt, bei der Abfahrt erklingt der dramatische Titelsong von Billie Eilish.
Das gleichnamige Lied unterstreicht die Melodramatik des 25. Bond-Films und ist gespenstisch gut geworden. Dennoch, eine gewisse Ähnlichkeit zu dem Vorgänger „Writings On The Wall“, gesungen von Sam Smith, ist nicht abzustreiten. Beide Titelsongs werden in hoher Tonlage zum Besten gegeben, haben eine ähnliche Länge und auch der gesamte Aufbau sowie der zerbrechliche Stil erinnern an das Lied aus „Spectre“. Außerdem ist das zentrale Instrument in beiden Liedern das Klavier. Der größte Unterschied besteht darin, dass der Einstieg bei „Writings On The Wall“ kraftvoller ist als jener in „No Time To Die“. Es wird aber nicht die einzige „Kopie“ in diesem Film bleiben.
Wie man es noch nie gesehen hat
Dass Daniel Craig das Franchise verlässt, ist umso schmerzlicher, da sich der Frauenheld aus den 1960er-Jahren mittlerweile zum Besseren gewandelt hat. Craig zeigt offen Gefühle, ohne dabei aber seine Rolle als Mann mit der „Lizenz zum Töten“ zu vernachlässigen. Sogar in Situationen des Zornes schlägt er nicht sein „Bond-Girl“, sondern steigt erst nach ihr in das Auto ein. Als mit der Agentin „Nomi“ (Lashana Lynch) eine neue 007 auftritt, darf es jeder*m Filmromantiker*in einen kleinen Stich ins Herz geben. „Es ist nur eine Nummer“, sagt Craig alias Bond im Film, aber der Agent und diese Nummer sind viel zu stark miteinander verknüpft, dass es „egal“ ist, wer die ikonische Zahl erhält. Man kann deutlich erkennen, wie sehr der Agent an seiner Nummer hängt, und wieviel es ihn an Überwindung kostet, jemand anders als 007 zu akzeptieren. Es ist zwar logisch, dass die Nummer neu vergeben wird, wenn ein Spion in den Ruhestand geht, trotzdem tut es ein bisschen weh, dass James Bond erst kurz vor Schluss seine Dienstnummer zurückbekommt.
Sehr erfreulich ist dafür die Gleichstellung von Männern und Frauen. Der Film zeigt starke Frauen, die Seite an Seite mit dem langjährigen Frauenhelden kämpfen und nicht mehr mit ihm „nur“ im Bett landen. Sie sagen, was sie sich denken und werden von Bonds kühlem Charme auch nicht mehr so leicht um den Finger gewickelt. Selbst der Agent macht den Anschein, als hätte er kein Interesse an anderen Frauen mehr. Bond scheint mit Madeleine endlich seine große Liebe gefunden zu haben. Das kommt durch die Darstellung Craigs deutlich zum Ausdruck.
„Keine Zeit zu sterben“ wartet außerdem mit „Titanic“-Feeling auf. Im sinkenden Schiff kämpfen Bonds Freund und CIA-Agent Felix Leiter sowie der britische Spion um ihr Leben, letztendlich stirbt Leiter aber an einer zuvor zugezogenen Schussverletzung. Damit verliert James einen langjährigen Freund und seine Trauer darüber ist nicht zu übersehen. Die Szene beinhaltet so ziemlich alles, was ebenfalls in „Titanic“ (1997, Regie James Cameron) für nasse Augen gesorgt hat. Nicht zuletzt wird hier auch die menschliche Seite des Agenten verdeutlicht. Hier findet sich zudem eine kleine Hommage an „Casino Royale“ (2006, Regie Martin Campbell), als Bond – um zu überleben – durch das sinkende Schiff taucht. Wie damals, als er in einem einstürzenden Haus in Venedig versuchte, seine Liebe Vesper Lynd (Eva Green) vor dem Ertrinken zu retten. Trotzdem wirkt es für aufmerksame Zuseher*innen etwas irritierend, da man die angebliche Freundschaft zwischen den beiden Spionen nie als solche sieht.
Böses Spiel mal zwei
Widersacher des Spions gibt es gleich zwei: Der bereits in „Spectre“ festgenommene und nunmehrige Häftling Ernst Stavro Blofeld, dargestellt von Oscar-Preisträger Christoph Waltz, und Luytsifer Safin (ein misslungenes Wortspiel mit „Lucifer“ (= Teufel)), gespielt von Rami Malek. Beide sind sich in ihren Darstellungen äußerst ähnlich. Waltz gab bereits in seinem ersten Bond-Film den ruhigen und spöttischen Psychopathen, Malek tut es ihm gleich. Beide sprechen langsam mit leiser Stimme, sind ähnlich provokant und wissen genau, wie sie Bond verletzen können: Nicht mit Waffen, sondern mit Madeleine Swann und derer Tochter. Im Anbetracht der Tatsache, dass Waltz seinen Charakter nicht verändert hat, erweckt es den Anschein, als hätte sich der Mercury-Darsteller aus „Bohemian Rhapsody“ (2018, Regie Brian Singer) keine eigene Interpretation für Safin überlegt. Außerdem kommen die Motive Safins nicht zum Ausdruck, er ist ein unscheinbarer Bösewicht, was auch dem relativ schwachen Drehbuch geschuldet ist.
Die Musik, welche erstmals von Filmmusik-Legende Hans Zimmer kommt, ist im Allgemeinen die „typische“ Bond-Filmmusik und den Situationen angepasst. Laute und imposante Trompeten erklingen in den Action-Szenen, filigrane und zerbrechliche Töne in gefühlvollen und emotionalen. Dennoch ist der Stil des deutschen Komponisten deutlich zu erkennen. Manche Melodien erinnern sogar ein wenig an „Fluch der Karibik“. Der Soundtrack ist auf jeden Fall eines der besten Dinge am gesamten Film, trotzdem ist die Musik aus „Spectre“ von Thomas Newman einzigartiger.
Es ist ein klassischer James-Bond-Film, mit vielen Kampf-Szenen, die das Genre beliebt gemacht haben, allerdings muss man auch bemerken, dass es häufig sehr langatmig wird. Bei mehr als zwei Stunden müssen ebendiese Szenen an Reiz einbüßen. Generell ist „Keine Zeit zu sterben“ – wie auch sein Vorgänger – mehr Psychothriller als Actionfilm, betrachtet man die Grundthematik genauer. Die Darstellungen der Schauspieler*innen gehen unter die Haut, man wird förmlich nicht mehr losgelassen. Gelungen ist auch die Aussöhnung mit Madeleine, die Bond auch ihre Tochter vorstellt.
Schauplatzmäßig irritierend ist allerdings, dass das Haus mit dem See vor der Türe stark an jenes in Altaussee erinnert, wo James Bond in „Spectre“ Madeleines Vater Mr. White antrifft. In „Keine Zeit zu sterben“ befindet sich es in Norwegen.
Am Ende war der Schock
Für offene Münder sorgt das Ende, als es bereits klar ist, dass Bond sterben wird. Man fiebert dennoch mit und hofft auf einen Ausweg für den Agenten. Doch Bond muss den Heldentod sterben, auch, um Madeleine und deren Tochter zu schützen. Einmal mehr verleiht Craig seinem Bond dadurch Größe und zugleich eine sehr menschliche Seite.
Mit dem Heldentod Daniel Craigs als Titelfigur stirbt vermutlich auch das Bond-Franchise, wie man es bisher kannte. Alle Mitglieder von „Spectre“ sind – einschließlich Oberhaupt Ernst Stavro Blofeld – umgebracht worden, auch Felix Leiter wird nicht mehr zurückkehren. Mit ihren Toden verschwinden wichtige Figuren aus dem Bond-Universum, es sei denn, man fängt wieder bei null an. Ob mit Agentin Nomi als 007 wird in die Zukunft gegangen werden wird, ist zwar von offizieller Seite nicht bestätigt, doch „Keine Zeit zu sterben“ liefert viele Indizien dafür. Dennoch bleiben dies nur Spekulationen.
Es ist ein fulminanter und würdiger Abschied für Daniel Craig, der abermals die Messlatte für seine*n Nachfolger*in hoch gelegt hat. Man darf auf qualitative Nachfolge-Filme hoffen, hat doch noch (fast) kein 007-Streifen enttäuscht, egal, welcher Schauspieler den Agenten bisher gegeben hat.