Die innenpolitischen Ereignisse überschlagen sich. Es werden Hausdurchsuchungen in den Machtzentren der Republik durchgeführt und täglich kommen neue brisante Chats ans Tageslicht. Beinahe stündlich ändert sich die Sachlage und das ganze Wirrwarr um Sebastian Kurz und seine nächststehenden Unterstützer wird immer komplizierter. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Causa im Überblick.
Oft hört man zurzeit, dass es die vorgefallenen Geschehnisse „noch nie in der Geschichte der Zweiten Republik gegeben hat“. Wenn man jedoch nicht am neusten Stand der Dinge ist, verliert man schnell den Überblick. Was ist denn nun alles zum ersten Mal in der Zweiten Republik passiert und welche Folgen hat das?
Warum eigentlich hat es im Bundeskanzleramt, in der Bundesparteizentrale der ÖVP und bei der Mediengruppe „Österreich“ Hausdurchsuchungen gegeben?
Neben der momentan schon seit Monaten laufenden Causa der möglichen Falschaussage Sebastian Kurz wird nun auch wegen Bestechlichkeit, Bestechung und Untreue gegen ihn ermittelt. Neben ihm sind auch neun weitere Personen beschuldigt. Darunter zu finden sind einige Vertraute des Kanzlers, zwei Meinungsforscherinnnen und die Brüder Fellner, Leiter der Mediengruppe „Österreich“. Die Ursprünge der Beschuldigungen liegen bereits Jahre zurück, nämlich zu Zeiten als Sebastian Kurz noch Außenminister war. Der damalige ÖVP Chef Reinhold Mitterlehner wurde öffentlich als Parteispitze der Volkspartei in Frage gestellt. In zu dieser Zeit veröffentlichten Umfragen schnitt er alles andere als gut ab, wodurch der Druck auf seine politische Funktion immer mehr stieg, was zur Folge hatte, dass Sebastian Kurz ein Ultimatum an seine eigene Partei stellte und schließlich den Vorsitz übernahm. Jedoch steht nun im Raum, dass diese Vorgänge nicht ganz rechtens von statten gegangen sind und Kurz mit seiner Clique daran maßgeblich beteiligt war. Im Speziellen wird vorgeworfen, dass erwähnte Umfragen der Mediengruppe „Österreich“ im Auftrag von Sebastian Kurz und seinen Helfern frisiert wurden, um Mitterlehners Beliebtheitswerte weiter sinken zu lassen und damit einen raschen Führungswechsel zu erzwingen. Im Gegenzug soll „Österreich“ rund 1,2 Millionen Euro bekommen haben, die durch Steuergelder der österreichischen Republik bezahlt worden sein sollen. Sollten diese Anschuldigungen stimmen, dann handelt es sich um einen Musterfall von Korruption. Die Chats zwischen Kanzler Kurz und seinen Vertrauten, die diese möglicherweise rechtswidrigen Vorgänge behandeln, veranlassten die Staatsanwaltschaft zu Hausdursuchungen, unter anderem im Bundeskanzleramt und der ÖVP-Zentrale, um weitere Beweismittel zu finden.
Ein Politik-Thriller „Made in Austria“?
Wen man einer Person vor einer Woche gesagt hätte, dass am 11.10.2021 Alexander Schallenberg zum Bundeskanzler angelobt werden würde und Sebastian Kurz kein Regierungsmitglied mehr sei, würde man vermutlich einen äußert verwirrten und fragenden Gesichtsausdruck als Antwort bekommen. Jedoch sind die Geschichten, welche innerhalb der vier vorangehenden Tage davor geschrieben worden sind noch viel schwieriger in Worte zu fassen. Die Szenen der vergangenen Woche ähneln mehr einem schauspielerisch topbesetzen Hollywood Drama als jenen einer politisch stabilen Demokratie. Ob dieser Film mit einem „Happy End“ endet, darüber lässt sich streiten. Welche Personen in den Rollen der Held*innen oder Bösewichte stecken, lässt sich je nach politischer oder moralischer Neigung nicht sicher bestimmen. Neben dem Team um Ex-Kanzler Kurz, sind Vizekanzler Werner Kogler und die Klubobfrau der Grünen Sigrid Maurer essenzielle Hauptdarsteller. Am Donnerstag trat Kogler vor die Presse und verkündete, dass er die Handlungsfähigkeit des Kanzlers in Frage stellt und meint, dass dieser in jener Form nicht amtsfähig sei. Der Kanzler selbst betonte jedoch weiterhin, dass die Anschuldigungen falsch seien und er nicht daran denke, sein Amt niederzulegen. Als Unterstützungserklärung für ihn vermeldeten alle Ministerinnen und Minister, dass sie nur weiter regieren werde, wenn Sebastian Kurz bleibt. An sich mochten die Grünen diese Koalition weiterführen mit Verweis darauf, dass noch einige große Projekte anstehen, jedoch nur mit einer anderen Personalie im Kanzleramt. Dadurch ergab sich eine Patt-Situation, in der weder die eine noch die andere Partei viel Spielraum hat.
Welche Rolle spielt die Opposition?
Es schien so, als wäre die türkis-grüne Regierung am Ende. Die Idee, eine sogenannte „Konzentrationsregierung“ zu bilden, wurde immer wahrscheinlicher. Da nun keine einzige Partei mehr mit Sebastian Kurz zusammenarbeiten wollte und somit eine Beteiligung der ÖVP in der nächsten Regierung ausgeschlossen wurde, hätten sich alle anderen Parteien zusammenschließen müssen, um eine Mehrheit im Parlament zu bilden. Ein erfolgreiches Misstrauensvotum gegen Sebastian Kurz würde das voraussetzen, welches immer wahrscheinlicher wurde. Eine Koalition aus SPÖ, Grüne, NEOS und der FPÖ wäre die Folge. Pamela Rendi-Wagner verkündete im ORF sogar ihre Bereitschaft Bundeskanzlerin zu werden. Wenn man sich jedoch die politischen Ansichten der einzelnen Parteien vor Augen hält, im speziellen in Hinblick auf die Corona-Politik, würde man vermutlich nie zu einer Einigung kommen. Der Idee schon wieder Neuwahlen durchzuführen, konnte keine Partei etwas abgewinnen. Somit steht man auch hier vor einer scheinbar unüberwindbaren Hürde.
Wie viel Einfluss hat der Bundespräsident in dieser Krise?
Die Amtsperiode von Alexander Van der Bellen ist im Vergleich zu der von Heinz Fischer um Weiten ereignisreicher. In diesem Konflikt suchte er mit den Spitzenpolitiker*innen des Landes zuallererst immer ein Gespräch an, bevor er sich voreilig an die Öffentlichkeit wandte. Er wies darauf hin, dass sich alle gewählten Vertreter*innen um das Wohl Österreichs kümmern sollten und nicht die eigenen Machtansprüche an erster Stelle haben sollten. Rein rechtlich hätte der Bundespräsident die Möglichkeit die gesamte Regierung zu entlassen, jedoch nicht einzelne Regierungsmitglieder ohne ansuchen des aktuellen Bundeskanzlers. Somit ist auch er in einer schwierigen Position, um für Deeskalation zu sorgen.
Wieso kam es schließlich doch zu einem Rücktritt?
Am Samstagabend kündigte der ehemalige Bundeskanzler an, von seinem Amt als Regierunschef zurückzutreten. Er selbst begründete diesen Schritt damit, dass ihm das Land wichtiger sei als seine eigene Person. Ganz spezifisch sprach er eine theoretische Konzentrationsregierung an. Er wolle eine Koalition mit Hebert Kickl, dem FPÖ-Klubobmann, verhindern. Kurz wechselt nun ins Parlament als Klubobmann.
Einige Politikwissenschaftler*innen und Experten vermuten, dass der Druck der ÖVP-Landeshauptleute zu groß geworden ist. Zuvor hatten sie sich noch vereint hinter Kurz gestellt, doch nach seinem Rücktritt vom Amt des Bundeskanzlers wurde der innerparteiliche Ton gegenüber seiner Person immer rauer. Wichtig sei zu erwähnen, dass die Minister*innen die 24 Stunden vorher eine Regierung ohne Kurz ausgeschlossen hatten, nun doch alle im Amt bleiben. Vizekanzler Kogler hat bereits zugesagt, dass nun unter Alexander Schallenberg die Arbeit wieder aufgenommen werden könne. Der ehemalige Außenminister sei amtsfähig, da er nichts mit den brisanten Chatverläufen zu tun habe.
Für alle Beschuldigten gilt die Unschuldsvermutung.