In der Welt des Journalismus gibt es wenige so leidenschaftlich engagierte Persönlichkeiten wie ao. Univ.-Prof. Fritz Hausjell. Als Präsident der Österreich-Sektion von Reporter ohne Grenzen verkörpert er unermüdlich den Kampf für die Pressefreiheit. Seine Expertise erstreckt sich über Jahrzehnte, geprägt von akademischer Exzellenz und aktivem Einsatz für die Rechte der Journalisten.
Als renommierter Universitätsprofessor und stellvertretender Institutsvorstand am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien hat er Generationen von Studierenden inspiriert und seine Leidenschaft für die freie Meinungsäußerung weitergegeben. In einem persönlichem Interview mit uns, beleuchtete Prof. Hausjell nicht nur die aktuellen Herausforderungen für den Journalismus in Österreich, sondern auch die globalen Bedrohungen für die Pressefreiheit.
Sebastian Zhurkov: Sie sind letztes Jahr zum Präsidenten der Österreich Sektion von Reporter ohne Grenzen geworden. War das ein freiwilliger Entschluss oder sind Sie von anderen empfohlen worden?
ao. Univ.-Prof. Fritz Hausjell: Reporter ohne Grenzen kannte ich seit den frühen Nuller-Jahren durch die langjährige Präsidentin Rubina Möhring, die mich 2017/18 stärker einbezogen hat. Ich wurde zur jährlichen Präsentation des Pressefreiheitsindexes eingeladen und dann schnell in den Vorstand aufgenommen. Nach Rubina Möhrings Erkrankung und Tod habe ich als zweiter Sprecher öffentliche Statements gegeben. Die Wahl zum Präsidenten fiel auf mich, obwohl ich jemand anderen im Auge hatte: Erhard Stackl, der aber sich zurückziehen wollte.
Wie empfinden Sie Ihre Aufgabe als Präsident von Reporter ohne Grenzen?
Ich wollte ursprünglich diese Aufgabe frühestens nach meiner Pensionierung, vielleicht irgendwann übernehmen. Es ist eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe, da wir, jetzt nicht nur Österreich, sondern weltweit, eine Verschlechterung der Pressefreiheit diagnostizieren müssen. Zum Glück ist Reporter ohne Grenzen nicht alleine, auch der Presseclub Concordia engagiert sich stark. Journalisten und Journalistinnen begreifen zunehmend, dass die Pressefreiheit immer wieder verteidigt werden muss, auch in demokratischen Gesellschaften.
Was ist die primäre Mission von Reporter ohne Grenzen?
Die Mission ist, die Pressefreiheit dort, wo sie nicht existiert oder fast nicht mehr existiert, wieder zu erkämpfen bzw. zu verteidigen und dort, wo sie existiert, entsprechend zu sensibilisieren, damit sie nicht verloren geht und idealerweise weiterentwickelt wird. Dafür gibt es seit 25 Jahren einen weltweit vergleichenden Index über den Zustand in den 180 gerankten Ländern, bei dem das Optimum jetzt 100 Punkte ist. Diesen Wert erreicht zurzeit kein Land; die Bestplatzierten sind im Bereich der 90+ Punkte.
Was macht die Organisation für Journalistinnen und Journalisten in Österreich?
Das Ranking setzt sich aus fünf Säulen zusammen, die analysiert werden: Eingriffe in die physische Freiheit der Medienakteure (Ermordungen, Verschleppungen, ungerechtfertigte Inhaftierungen, physische Angriffe), die rechtliche Verfasstheit des journalistischen Sektors und die wirtschaftliche Abhängigkeit oder Unabhängigkeit der Medien. In Österreich führt der Strukturwandel des medialen Sektors zu wirtschaftlichen Einbußen und politische Einflussnahme hat zu Rücktritten von führendem Personal im ORF, der Landesdirektor in Niederösterreich, geführt, genau sowie der Chefredakteur Nowak bei der Presse, was Alarmglocken für den Zustand der Pressefreiheit sind.
Man muss hinzufügen, dass Österreich im Jahr 2022 von Platz 17 auf Platz 31 abgerutscht ist, was sicherlich mit den vielen politischen Skandalen zusammenhängt. Im Jahr 2023 ist Österreich zwar auf Platz 29 gestiegen, was jedoch auch nicht besonders bemerkenswert ist, insbesondere da Österreich früher unter den Top Ten war. Was ist Ihrer Meinung nach derzeit das Besorgniserregendste in Bezug auf die Pressefreiheit, insbesondere auf die Neuberechnung des World Press Freedom Index?
Der leichte Anstieg von Platz 31 auf Platz 29 war keine Verbesserung, da sich der Gesamtpunktewert weiter verschlechtert hat. Relativ gesehen hat sich Österreich etwas verbessert, jedoch haben sich andere Länder besser entwickelt. Besonders besorgniserregend sind die problematischen Verhältnisse zwischen Politik und Medien, verstärkt durch neue Hausdurchsuchungen bei Boulevardzeitungen wie heute oder der Kronen Zeitung. Die jüngsten Enthüllungen über vergangene Regierungszeiten der FPÖ könnten sich ebenfalls negativ auf den Index auswirken, obwohl der Berichtszeitraum auf das aktuelle Jahr begrenzt ist.
Weil sie die Regierung schon angesprochen haben. 2023 wurde für Whistleblower – zu dt. „HinweisgeberInnen“ – die EU-Whistleblower-Richtlinie in Österreich gesetzlich umgesetzt. Es wurde dazu auch online eine Meldestelle bei der Bundesdisziplinarbehörde, die dem Bundeskanzleramt unterstellt ist, eingerichtet. Was halten Sie davon?
Ich glaube, dass diese Umsetzung der EU-Richtlinie nicht ausreichen wird. Da es auf der einen Seite die Frage der ausreichenden Absicherung der Unabhängigkeit dieser Stelle genau zu prüfen ist und das zweite, wie steht es denn um mögliche Whistleblower, die Dinge aufdecken, die dann zentral auch etwa das Regierungsgeschehen betreffen können. Dafür könnten zusätzliche Beratungs- und Unterstützungskapazitäten durch NGOs im Medien- und Antikorruptionsbereich erforderlich sein.
Gibt’s überhaupt eine Whistleblower-Szene, wenn ich das so ausdrücken darf, in Österreich?
Na ja, es gibt sie im überschaubaren Ausmaß gegenüber dem Journalismus. Aber effektives Whistleblowing ist besonders dort wirksam, wenn es von einer höheren Ebene kommt, wo fundiertes Insiderwissen über interne Vorgänge vorhanden ist. Diese Informationen sind entscheidend für die Ermittlungsbehörden wie die WKSta. Historisch gesehen gab es Versuche der Politik, Schutzrechte von Whistleblowern zu schwächen, wie im Fall von Strache [Anm. Heinz-Christian Strache], der einen Journalisten kriminalisierte, der über Skinheads berichtet hatte. Solche Ereignisse unterstreichen die Bedeutung eines starken Journalismus und eines robusten Schutzes für Whistleblower, um den liberalen Rechtsstaat zu unterstützen und Angriffen auf die Pressefreiheit entgegenzuwirken.
Da wir über Whistleblower sprechen, würde ich gerne einen Blick ins Internationale werfen. Ich verfolge den Fall Julian Assange, seitdem ich in der Redaktion tätig bin. Reporter ohne Grenzen, setzt sich ja für die Freilassung von Julian Assange ein. Wie interpretieren Sie das jüngste Gerichtsurteil im Fall von Assange im Kontext der Pressefreiheit und auch der Rechte vom Whistleblowern bzw. investigativen Journalisten?
Wir haben im Fall Assange inzwischen so viele Auf und Abs erlebt und hoffentlich geht es am Ende nicht fatal aus. Es hat ohnedies schon vielfältige verheerende negative Auswirkungen bis jetzt, weil ich traue mich zu behaupten, dass an dem Beispiel, wie durch den Einsatz von Geheimdiensten der Ruf dieses Mannes systematisch ruiniert wurde. Und zwar so ruiniert wurde, dass selbst unter aufgeschlossenen Menschen immer noch haften geblieben ist. Viele sind auf Distanz gegangen, umso mehr geht Reporter ohne Grenzen keinen Millimeter auf Distanz, sondern begreift diesen Fall als einen der für die Pressefreiheit und die Person selbst gewonnen werden muss!
Also die Wirkung dieses Assange-Fall wird ja von der Politik praktisch zu Großen Teilen – zu mindestens in Europa – ausgeblendet oder heruntergespielt. Halten Sie das für angemessen oder sehen Sie das ganz anders?
Nein, ich bin jedes Mal entsetzt, dass dieser Bereich aufgrund der militärischen Allianz mit den USA untergeordnet wird. Die Grundlagen der demokratischen europäischen Gesellschaften nach 1945 verdanken wir auch dem Engagement der Amerikaner. Diese Tradition wird nun militärischen Fragestellungen untergeordnet. Innerhalb der EU wenn wir auf den Mediensektor blicken, haben wir eine ganz lange und mühsame Entwicklungsgeschichte, was die politische Gestaltung des Medienbereichs anbelangt.
In den ersten Jahrzehnten der EU wurde der Medienbereich wirtschaftspolitisch gestaltet, später kamen Kulturdimensionen hinzu. Jetzt in den letzten Jahren ist man erst drauf gekommen, der Medienbereich ist demokratiepolitisch zu gestalten. Wir brauchen starke, unabhängige journalistische Medien. Diese sind Grundlage für die Kritik- und Kontrollfunktion, wo andere Kontrollinstanzen versagen. Idealerweise sollte eine unabhängige journalistische Instanz agieren. Der Strukturwandel der Medien hin zu Digitalgiganten und Social Media Kanälen bringt Herausforderungen, da diese nicht Journalismus hervorbringen, sondern alles nebeneinander ausgespielt wird: Journalismus, PR, Propaganda, Fake News.
Es fehlt an Bildung, um das zu unterscheiden. Wahrscheinlich brauchen wir separate Ausspielkanäle für Journalismus, um faktengeprüfte Informationen zu gewährleisten. Das erfordert europäische Politik und weltweit koordiniertes Vorgehen. Die Digitalgiganten Amerikas mögen für ein politisches amerikanisches System eine gewisse Funktionalität haben, weil dort in der politischen Auseinandersetzung am Ende die Devise lautet „The Winner takes it all“. Wir brauchen aber eine aktivere europäische Medienpolitik, die unterstützt, dass journalistische Medien wieder Werbeerlöse erhalten, die derzeit in Silicon Valley und China landen.
Wie legitimiert die britische Justiz den Aufenthalt von Julian Assange im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh trotz seines Gesundheitszustands?
Ich gehe einen Schritt weiter. Warum gehen nicht Länder, wie die Schweiz oder Österreich mit ihrem neutralen Status her und sagen Assange kriegt Asyl in diesem Land? Er könnte sich dort frei bewegen, was Einschränkung genug wäre. Diese Länder halten die Pressefreiheit hoch. Großbritannien war immer ein Hort der Pressefreiheit. Aus Gründen der Menschlichkeit und europäischer Standards sollte Assange Asyl erhalten. Die USA, die im Pressefreiheitsranking nicht gut abschneiden, sollten das anerkennen.
Hätte Österreich bei der Landung des Flugzeugs in Schwechat mutig gehandelt, wären wir heute weiter. Österreich oder die Schweiz könnten langfristig Anerkennung bekommen, wenn sie mutig zentrale europäische Rechte verteidigen. Wir haben diese Pressefreiheit auch von Amerika gelernt, nachdem wir in Europa eigene bürgerliche Revolutionen hatten. Jetzt aber jemanden so zu ruinieren, ist falsch.
Was bedeutet dann dieses Urteil im Fall Assange für die internationale Gemeinschaft und insbesondere für Länder, die schon bereits eine eingeschränkte Pressefreiheit haben? Welche Botschaft sendet es an solche Journalisten und Whistleblower weltweit?
Die Botschaft der Handelnden [USA, UK Anm.] ist klar: Lass die Finger davon!
Reporter ohne Grenzen setzt eine gegenteilige Botschaft: Wir hoffen, dass sich am Ende die Vernunft durchsetzt. Assange hat zur Transparenz beigetragen, indem er aufgedeckt hat, dass Zivilisten durch amerikanische Militäraktionen gestorben sind. Die Vorwürfe gegen ihn wiegen weniger als die aufgedeckten Missstände. Alles, was Assange bisher angetan wurde, hat den Anschein von Rache. Kritischer Journalismus sollte in einer zivilisierten Gesellschaft nicht mit 175 Jahren Gefängnis bedroht werden. Menschen wollen Transparenz und Gerechtigkeit, keine Rachejustiz.
Warum hat es Edward Snowden geschafft, sich der amerikanischen Justiz zu entziehen und Julian Assange nicht? Ist „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ die einzige Option für Whistleblower?
Ich kann nicht beurteilen, wie es Snowden in Russland geht. Aber jemand, der in Russland Ähnliches machen wollte, hätte dort schlechte Voraussetzungen. Es sollte Orte geben, die Menschen Schutz bieten, wenn sie von Systemen verfolgt werden. Ecuador war eine Option, bis politische Veränderungen das unmöglich machten. Österreich oder die Schweiz könnten als neutrale Länder Schutz bieten. Seit 1945 haben diese Länder internationale Organisationen beherbergt und Neutralität hochgehalten. Aber es zeigt zugleich, wie wichtig es wäre hier initiativ zu werden. Es ist nie zu spät, das kann man auch jetzt noch tun. Aber wahrscheinlich brauchen wir da auch jemand in der handelnden Politik nicht nur mit Mut, sondern auch mit Visionen.
[Anmerkung: Julian Assange ist mittlerweile außer Haft – aufgrund eines Deals mit der US-Regierung – „frei“ in Australien]
Um wieder zurück auf die Pressefreiheit zu kommen: Sehen Sie optimistisch in die Zukunft oder eher pessimistisch? Jetzt mal auf Europa bezogen.
Ich bin vorsichtig optimistisch. Auf EU-Ebene hat die demokratiepolitische Komponente der Medienregulierung zwar begonnen, Fuß zu fassen, aber noch nicht in dem gewünschten Ausmaß. In unserem eigenen Land werden wir nach der Regierungsbildung im Spätherbst weitersehen müssen. Die medienpolitischen Maßnahmen der aktuellen Regierung waren völlig unzureichend, um die Top-Positionen im Land zu erreichen. Ich hätte mir gewünscht, dass unsere Medienministerin während ihres Besuchs in Dänemark auch die medienpolitischen Strategien in Skandinavien studiert hätte. Diese Länder sind strukturell ähnlich wie Österreich und nehmen seit langem führende Positionen ein. Transparenz ist wichtig, aber sie sollte auch vergleichbare Daten liefern, wie es in anderen Ländern bereits praktiziert wird. In Schweden beispielsweise sind die Einkommensverhältnisse der Journalisten seit langem transparent, was zu einer offeneren gesellschaftlichen Diskussion beigetragen hat. In Österreich müssen wir dringend das Vertrauen zwischen Bürgern, Regierung und Medien stärken, indem wir Transparenz und Zugang zu öffentlichen Informationen verbessern. Es ist wichtig, dass wir verstehen, warum die Medien unterschiedlich berichten und wie wichtig eine unabhängige Berichterstattung für unsere Demokratie ist.
Abschließend, hätten Sie noch motivierende Worte generell für junge Journalisten?
Also, alle jungen Menschen, die sich von den aktuellen Verhältnissen der journalistischen Medienbranche zum Teil mit Schrecken abwenden, kann ich nur sagen, rein in die Medien. Journalismus ist ein nicht nur faszinierender Beruf. Es ist ein ungemein gesellschaftlich wichtiger Beruf. Und wie gut es uns gelingt, den Journalismus zu mehr Blüte, zu mehr Vielfalt, zu mehr Freiheit zu entwickeln, hängt an uns allen. Das heißt mit Blick auf Know-how, das heißt zu schauen, wie kann ich Journalismus möglichst gut machen? Also Bildung, Ausbildung, Weiterbildung im Auge zu behalten. Im Auge zu behalten des Journalismus, guter Journalismus, davon lebt, dass man sein Rückgrat redlich pflegt, um standhaft zu bleiben, um den Verführungen, wo auch immer widersteht. Es geht im Journalismus nicht darum, möglichst viele Freunde zu haben. Sondern möglichst viele gute, relevante Geschichten zu recherchieren und zu schreiben. Und darauf zu schauen, dass die Rahmenbedingungen für Journalismus, die selbstverständlich einerseits durch die Politik gemacht werden, weil die Politik die Gesetze gestaltet, dass dort vernünftige Rahmenbedingungen geleistet werden. Dass wir uns als junge Journalisten, aber auch als erfahrene Journalisten und Journalistinnen, darum wieder mehr kümmern. Dass wir darauf schauen, dass wir nicht sagen, ja, das machen eh die anderen für mich. Und das haben wir ja in der Demokratie, in der wir leben. Die Demokratie ist so gut, wie wir uns selber darum kümmern, dass sie idealerweise noch ein Stück besser wird. Und jeder, der Freiheit liebt, ich glaube, da gehören wir fast alle dazu, weil die Freiheit beginnt bei ganz simplen Dingen, bei der Frage, was zieh ich mir an, was sagt mir jemand, wie ich meine Haare habe oder, was, wie ich rede. Da beginnt zwar noch nicht der Journalismus, aber da beginnt das Verständnis dafür, dass ich im Journalismus mir auch möglichst nicht von anderen vorschreiben lasse, was ich schreiben darf und was nicht. Sondern mir nur die Fakten eine Orientierung sind, dass ich sage, OK, die Sachen müssen aber stimmen, weil sonst aber mit den Gesetzen Probleme, aber auch mit meiner Glaubwürdigkeit ein Problem und außerdem die Geschichte sollte immer so sein, dass ich sie meinen besten Freunden, meiner besten Freundin erzählen kann. Der in die Augen schauen kann. Weil ich nicht flunkere, weil ich weiß, dass alles an der Geschichte stimmt. Meinung ist sowieso immer frei, na klar. Und ich hoffe, dass wir ein breites Meinungsspektrum haben, aber bei den Fakten, da gibt es nicht die Diskussion, ob es auch noch alternative Fakten geben könnte. Die gibt es einfach nicht. Da sind wir beim: Ja, da erzählt jemand Gschichtl‘n. Gschichtl‘n sind nett, aber zum Erzählen haben sie im Journalismus nichts verloren.
Ich bedanke mich vielmals!
Gerne, danke für die spannenden Fragen!