Lena Schilling ist Klimaaktivistin und Grüne-Spitzenkandidatin für die EU-Wahl. Sie erlangte breitere Bekanntheit als Klimaaktivistin innerhalb der Fridays-for-Future-Bewegung. Schilling setzt sich für Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit ein und wurde als Spitzenkandidatin der Grünen für die Europawahl 2024 nominiert. Allerdings geriet sie auch in die Schlagzeilen aufgrund von Vorwürfen sowie Anschuldigungen im Zusammenhang mit Belästigungsvorwürfen und angeblich erfundenen Liebesbeziehungen. Trotz dieser Kontroversen stellte sich die Parteispitze der Grünen hinter sie.
Wie planen Sie die Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedsstaaten zu stärken?
Gerade in Zeiten der Klimakrise, während der Corona-Pandemie und bei der Energiekrise als Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, zeigt sich: Gemeinsam sind wir stärker, als es Österreich allein wäre. Deshalb trete ich auch dafür an, dass wir im Europäischen Parlament über Ländergrenzen hinweg, die besten politischen Lösungen auf den Weg bringen. Dafür brauchen wir Offenheit und Verständnis für die unterschiedlichen Probleme, genauso wie den Willen zur Solidarität für gemeinsamen Antworten. Das funktioniert in manchen Bereichen sehr gut, in anderen – man bedenke etwa Italiens Klage gegen Österreich wegen der Maßnahmen gegen den LKW-Verkehr am Brenner – weniger. Das Europäische Parlament ist als einzige eine direkt von der Bevölkerung legitimierte EU-Institution, der Ort, an dem dieser Austausch auf Augenhöhe in der Verantwortung gegenüber der EU-Bürger:innen verhandelt wird. Darauf freue ich mich riesig.
Welche konkreten Maßnahmen schlagen Sie vor, um den Klimawandel auf europäischer Ebene anzugehen?
Wir müssen in der EU unbedingt den Weg, den wir mit dem Green Deal eingeschlagen haben, konsequent fortsetzen. Für den Klima- und Umweltschutz, unsere Unabhängigkeit und Sicherheit in Europa, aber auch für die Perspektive und Investitionssicherheit unserer Wirtschaft. Die EU ist mittlerweile Vorreiterin und entscheidender Faktor bei Klimaschutz weltweit. Dadurch ziehen global andere Länder mit. Die Rechten und konservativen Kräfte im EU-Parlament haben sich bereits in den letzten Jahren mit all ihrer Kraft gegen Klima- und Umweltschutz gewehrt. Werden sie nun zu stark, ist die Zukunft des Green Deal in Gefahr. Es ist heute schon eine Herausforderung – die auch eine der größten der kommenden fünf Jahren bleibt – den European Green Deal aufrecht zu erhalten und gegen politische Angriffe der Konservativen und Rechten zu verteidigen. Wir Grünen stehen uneingeschränkt zum Green Deal. Es geht um Lebensqualität, intaktere Natur, gesunde Böden und sauberere Luft. Nur mit ambitionierter Klima- und Umweltpolitik und nachhaltigem Wirtschaften können wir Wohlstand, Sicherheit und Gesundheit auf dem Kontinent für alle gewährleisten. Die nächste Kommission muss Klima- und Umweltschutz daher auf die strategische Agenda nehmen. Sehr wichtige Initiativen und Gesetzespakete wurden auf europäischer Ebene bereits umgesetzt oder auf den Weg gebracht, aber es braucht noch mehr. Wir Grüne vertreten die Ansicht, dass die Klimaziele und damit auch Klimaneutralität, auf europäischer Ebene zu einem frühestmöglichen Zeitpunkt rechtlich verankert werden sollte.
Wie wollen Sie und Ihre Partei sicherstellen, dass die EU weiterhin als globaler Akteur für Frieden und Sicherheit bleibt?
Wir benötigen eine starke und souveräne EU, die als weltpolitische Akteurin agieren und nicht durch das Veto eines einzelnen Mitgliedsstaats blockiert werden kann. Die EU muss in diesen herausfordernden Zeiten alle Möglichkeiten internationaler Zusammenarbeit aktiv suchen, bestehende und neu aufzubauende Kanäle der Kooperation nutzen, um Kriege zu beenden und Frieden zu fördern, Menschenrechte zu verwirklichen, demokratische Kräfte zu stärken und Konflikten vorzubeugen. Etwa mit der Stärkung der Beziehung zu ihren Verbündeten im transatlantischen und transpazifischen Raum. Die EU muss auch aktiv um Partnerschaften mit Ländern des Globalen Südens werben. Dabei kann Österreich als neutraler Staat eine wichtige Rolle bei der Verteidigung des Völkerrechts sowie dem Einsatz für Demokratie und der Menschenrechte einnehmen.
Was sind Ihrer Meinung nach die dringendsten Herausforderungen, mit denen die EU derzeit konfrontiert ist und wie planen Sie, diese anzugehen?
Wir stehen angesichts von Kriegen in und vor Europa vor neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen und sind nach Corona auch mit kriegsbedingter Inflation konfrontiert. Und das alles mitten in der Klimakrise, deren Bekämpfung unsere ganze Aufmerksamkeit und Entschlossenheit erfordert. Rekordtemperaturen und Naturkatastrophen führen nicht nur zur Zerstörung ganzer Ökosysteme und unermesslicher Kosten, sondern auch zu menschlichem Leid. Wir Grüne setzen daher auf die soziale und grüne Transformation unserer Wirtschaft und Industrie, um unabhängig von fossilen Energien und damit auch unabhängig von autoritären Regimen weltweit zu werden und gleichzeitig im globalen Wettbewerb bestehen zu können.
Wie können wir das Miteinander in der EU stärken?
Wir müssen die EU insgesamt stärker als unsere gemeinsame Angelegenheit und gemeinsame Realität begreifen. Sie ist der Raum, in dem wir den politischen Rahmen für unsere Zukunft gestalten. Die EU kann der Ort werden, an dem wir beweisen, dass man gut leben kann, ohne dabei den Planeten zu ruinieren. Der Ort, an dem wir das Zusammenleben als offene und freie Gesellschaft verteidigen – als Gegenmodell zu Diktaturen und Regimen. Ich höre oft, dass wir als EU die Welt nicht alleine retten können. Das stimmt sicher. Aber wir können ein Ort sein, der zeigt, wie es klappen kann. Daran möchte ich arbeiten, weil genau das muss uns die EU bringen. Leider gibt es eben auch Kräfte im Europäischen Parlament wie die FPÖ oder die AfD, die nicht das Miteinander suchen. Sie wollen die EU zerstören oder wie Viktor Orban undemokratisch umbauen. Hier müssen wir mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vehement dagegenhalten und in wichtigen Fragen (wie Außenpolitik oder Steuerpolitik) die Einstimmigkeitsnotwendigkeit aufheben, um nicht erpresst werden zu können. Gleichzeitig wollen wir die Einhaltung demokratischer und rechtsstaatlicher Standards, die für uns alle in der EU gelten, stärker kontrollieren.
Welche Initiativen schlagen Sie vor, um die Jugendarbeitslosigkeit in Österreich sowie in der EU zu bekämpfen, um die Zukunftsperspektiven junger Menschen zu verbessern?
In Österreich fängt unser duales Ausbildungssystem viel ab, wenn es um Jugendarbeitslosigkeit geht. Die beste Maßnahme gegen Jugendarbeitslosigkeit ist nämlich die Qualifizierung von jungen Menschen. Mit der Ausbildungspflicht bis 18 setzen wir in Österreich diesbezüglich wichtige Maßnahmen, die wir weiter fortführen sollten. Eine Ausbildungsgarantie bis 25 Jahren wäre der nächste wichtige Schritt, um jungen Erwachsenen einen Mix an Fähigkeiten mitzugeben, der sie für den Einstieg in den Arbeitsmarkt stärkt. Auch die sozialrechtliche Absicherung junger Erwachsener sollte weiter verbessert werden. Hierfür können wir uns auch auf EU-Ebene einsetzen und Vorbildwirkung beweisen. Auf EU-Ebene sollten die bestehende Programme, die einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit leisten, weiter ausgebaut werden.
Wie planen Sie, junge Menschen in den Entscheidungsprozess der EU einzubeziehen, insbesondere in Bezug auf die Gestaltung von Jugendpolitik?
Es geht um unser aller Zukunft, da sollten die Ansichten der Jugend besonders gefragt sein. Unsere Ziele sind: Mehr Repräsentation und größere Beteiligung von jungen Menschen, sowie stärkere Transparenz. Wir wollen das gesellschaftliche Engagement von Jugendorganisationen mit mehr Geld unterstützen, die politische Bildung und den gesellschaftlichen Austausch EU-weit, sowie im digitalen Raum ausbauen. Wir wollen alle Mitgliedsstaaten der EU davon überzeugen, dass alle Jugendlichen bei Europawahlen ab 16 Jahren wählen können.
Warum sollte ein junger Mensch bzw. ein Erstwähler Sie und Ihre Partei wählen?
Wir Grüne nehmen die Interessen der Jugend sehr ernst und kämpfen dafür, dass sich Jugendliche in der Europapolitik stärker wiederfinden. Wir setzen uns nicht nur auf europäischer Ebene als einzige Partei konsequent für Klimaschutz und den Kampf gegen die Klimakrise ein, wir arbeiten auch an strukturellen Veränderungen in der EU, um jungen Menschen mehr Mitspracherecht und Mitbestimmungsmöglichkeiten bieten. Deshalb sind wir dafür, die bestehenden Dialog- und Beteiligungsformate gemeinsam mit Jugendlichen auf Verbesserungspotenziale zu überprüfen und öffentlich zu diskutieren, welche konkreten Verbesserungen umzusetzen sind
Welchen Ratschlag würden Sie einem jungen Menschen mit auf dem Weg geben?
Lasst uns gemeinsam an einem Europa bauen, das sich den Herausforderungen der Zukunft konsequent stellt. An einem friedlichen Europa, das vereint gegen die Klimakrise kämpft, ohne dabei jemals die soziale Frage aus den Augen zu verlieren. An einem demokratischen Europa, in dem rechtsextreme Hetze und Angstmache vehement bekämpft werden. Und an einem Europa, an dem wir laut und engagiert sein können, egal ob in der Schule, in der Gemeinde, in der Stadt. An einem Europa, das Vielfalt schätzt und lebt. Wir haben so viel gemeinsam zu gewinnen.