Kanzler oder Krise?

Krisengeplagt oder krisensicher? Die ÖVP hat in der nahen Vergangenheit einige politische Krisen durchgemacht, wirklich gestärkt ist sie daraus nicht hervorgegangen. Jetzt setzt die Partei rund um Karl Nehammer auf Leistung, Familie und Sicherheit. Ob die ÖVP damit Erfolg haben wird, werden die Wählerinnen und Wähler am 29. September entscheiden.

Die ÖVP (Österreichische Volkspartei) ist schon seit dem Wiedererstarken der Demokratie in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg ein Fixpunkt der Parteienlandschaft. In dieser langen Zeit hat die ÖVP Höhen und Tiefen erlebt, mal alleine in der Regierung, mal in Koalition, mal gar nicht. In den letzten Jahren aber scheint die Partei nicht mehr wirklich aus der Krise zu kommen. Die Skandale rund um das „Ibiza-Video“ betrafen zwar nicht die ÖVP selbst, sehr wohl aber die von ihr geführte Regierung. Ein zweiter und diesmal für die Volkspartei deutlicher Rückschlag war die Korruptions-Causa Sebastian Kurz. Der steigende Stern der Türkisen war doch nur wie eine Sternschnuppe, die zwar hell über dem Nachthimmel erleuchtet, aber dann wieder genauso schnell verglüht und verschwindet.

Seit Kurz Rücktritt im Oktober 2021 hat sich die Volkspartei unter einer kurzen Führung von Alexander Schallenberg als Kanzler und dann mit Karl Nehammer als Kanzler und Parteichef wieder in die Stabilität zurückgekämpft. Haben sich die Türkisen (deren Parteifarbe erst kürzlich von Schwarz zu Türkis gewechselt wurde) nun zwar eben diese Stabilität auf die Fahnen für den Wahlkampf geschrieben, sah es in den Umfragen bis vor kurzem eher unstabil aus: Lange Zeit rangierte die ÖVP mit rund 20% auf Platz drei hinter FPÖ (Freiheitliche Partei Österreich) und SPÖ (Sozialdemokratische Partei Österreich), doch seit den Krisen in der SPÖ konnte sich die Volkspartei wieder den zweiten Platz in den Umfragen sichern. Dieser zweite Platz hat in den letzten Tagen zudem eine Aufwertung erfahren, da sich Herr und Frau Österreicher scheinbar von der Antwort der Regierung auf die Hochwasserkatastrophe bestärkt fühlen, der Stabilitäts-Message der Kanzlerpartei zu vertrauen. Die ÖVP hat laut einer Umfrage mit dem Stand vom 16.09. 25% und ist somit nur noch 2% von der FPÖ entfernt.

Die Schlagworte, auf die die Partei von Kanzler Karl Nehammer in diesem Wahlkampf setzt, werden Beobachterinnen und Beobachter der Volkspartei nicht überraschen, es geht um Leistung, Familie und Sicherheit. Genannt „Österreichplan“ präsentiert Nehammer auf 270 Seiten seine Ideen für das zukünftige Österreich. Die ÖVP sieht sich dabei selbst als Partei der Mitte, die die Zukunft berechenbar machen möchte, die Wirtschaft und damit das Soziale stärken möchte, dabei aber Werte und Lebensvorstellungen beibehält und klare Regeln für das Zusammenleben aufstellt. Die Österreichische Volkspartei fordert für das Erreichen ihres Zieles unter anderem: Vollzeitbonus von 1000 Euro; steuerfreie Überstunden; eine Senkung der Lohn- und Einkommensteuer; neue Kassenarztstellen; eine Berufspflicht für Ärztinnen und Ärzte nach ihrer Ausbildung in Österreich; ein hartes Durchgreifen bei Schlepperei, Kriminalität und Terrorismus; Abwicklung von Asylverfahren im Ausland; strengere Vergabe der österreichischen Staatsbürgerschaft; Beibehaltung von Bargeld sowie der Neutralität.

Die Türkise Trias

Mit der Trias „Leistung, Familie, Sicherheit“ möchte die ÖVP die verlorenen Wähler:innen wieder zurückholen. Unter dem Punkt Leistung soll das Steuersystem reformiert werden: Dabei soll der Steuersatz der untersten Einkommensstufe verringert werden und die Vollzeit mit einem jährlichen Bonus von 1.000 Euro attraktiver gemacht werden. Eigentum soll nicht besteuert werden und ein „klarer Einkommensunterschied zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit“ soll geschaffen werden. Die Brücke zur Familie schlagend, möchte die Volkspartei hierbei aber die familiären Betreuungspflichten berücksichtigt wissen. Die Familie stellt für die ÖVP das „Fundament der Gesellschaft“ dar, entsprechend soll sie gefördert werden, etwa mit leistbarem Wohnraum durch vergünstigte Kredite. Sie soll aber auch sicherer gemacht werden, indem der Kampf gegen die Gewalt an Frauen unterstrichen wird. Um diese Punkte zu ermöglich braucht es Sicherheit, die dritte Säule des ÖVP-Wahlprogrammes: Ein starkes Auftreten in Asylfragen soll Sicherheit bringen, so soll der Familiennachzug temporär ausgesetzt werden und Ländern, die bei Auswanderungswellen und Rückführungen nicht kooperieren, die Entwicklungshilfe entzogen werden. Im Bereich Integration bleibt die Volkspartei streng: „Wer bei uns leben will, muss unsere Kultur respektieren, sich unsere Werte aneignen, unsere Sprache beherrschen und für sich selbst sorgen können. Wer unsere Werte nicht akzeptiert, soll woanders leben.“, dem Islamismus und extremistischem Denken soll ein Riegel vorgeschoben werden. Außenpolitisch soll Österreich seiner Neutralität treu bleiben und diese auch behalten, es soll aber dennoch an der Verteidigungsfähigkeit des Landes gearbeitet werden, die Cyberabwehr soll ausgebaut werden und das Heer selbst soll attraktiver gestaltet werden.

Keine Überraschungen

Liest man den „Österreichplan“, nachdem man sich mit der ÖVP auseinandergesetzt hat, wird man sicherlich wenig überrascht aus dem Lesestuhl aufstehen. Traditionelle Werte, Familie, Leistungsdenken und Sicherheit zeichnen die ÖVP schon seit Langem aus. Doch vielleicht ist es gerade diese Betonung der traditionellen Ideen der Volkspartei, die ihr zu einem Erfolg bei den Wahlen am 29. September verhelfen kann. Hat die nahe Vergangenheit nur Krisen für die Türkisen gebracht, könnte ein Rückfokus auf die typischen Themen und eine Abkehr vom „Neuen“ wieder Stabilität und somit bessere Ergebnisse liefern. Unter Sebastian Kurz nannte sich die Partei „Neue Volkspartei“, unter Karl Nehammer schlicht „Die Volkspartei“. Die Rückkehr zu etwas mehr Ruhe und Tradition scheint der Partei zumindest etwas zu nutzen, hat sie doch in den letzten Umfragen wieder etwas aufgeholt, zuvor war sie auf einem schlechten Kurs. Ob sich das Zurückbesinnen und die Reaktion des Kanzlers auf die Hochwasserkatastrophe tatsächlich auf das Wahlverhalten am 29. September auswirken kann, oder ob es sich hierbei nur um eine Momentaufnahme handelt, ob sich die ÖVP aus der Krise retten kann und wieder Kanzlerpartei werden kann oder nicht, wird sich erst am 29. September selbst zeigen, denn ob die ÖVP ihre Ziele und Träume verwirklichen kann, entscheiden schlussendlich die Wählerinnen und Wähler.

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