Ein Jahr voller Überraschungen

Auch in diesem Jahr hat sich nichts geändert – 2021 bleibt wie das Vorgängerjahr 2020 voller Überraschungen. So auch beim diesjährigen Eurovision Song Contest (kurz: ESC) in Rotterdam. Mit einem Jahr „Verspätung“ – wie Gastgeberland Niederlande die Corona-geschuldete Absage 2020 auch nennt – ging das größte Musikevent der Welt in der Woche vom 18. Mai bis 22. Mai über die Bühne. 

Es war ein Wettbewerb, der viel versprach – sowohl die Lieder, als auch die gesamte Show betreffend. Auf seinen Accounts in den sozialen Medien verkündete der Eurovision Song Contest stolz, besonders spektakulär zu sein – er war auch „zwei Jahre in Vorbereitung“, so das Originalzitat auf Deutsch übersetzt. Leider wurde dieses Versprechen nicht gehalten, zumindest die Erwartungen waren, an ein Event mit zwei Jahren Planung, größer. Das erste Semifinale am 18. Mai wurde zum Beispiel mit einem neuen Song von dem Gewinner des ESC 2019, Duncan Laurence, eröffnet, nicht wie üblich mit dem Siegersong. Die Moderator*innen wurden auch nicht weiter groß angekündigt, es machte eher den Anschein, als würden sie auf die Bühne „schleichen“. 

Unspektakuläre Show 

Generell enttäuschte die Moderation von Chantal Janzen, Nikkie de Jager, Jan Smit und Edsilia Rombley stark, denn diese blieb sehr oberflächlich und ohne der gespielten Witze. Des Weiteren wurde auch auf kurze Interviews im „Green Room“, dem Ort, an dem alle Teilnehmer*innen nach ihrem Auftritt sitzen, größtenteils verzichtet. Und das, obwohl keine Corona-Gefahr bestand. Stattdessen sprach man lieber an, wie toll die „Eurovision“-App nicht funktioniere. Dafür musste man sich aber in ebendiesen „Green Room“ stellen, was sehr irritierend wirkte. Und anstatt der Teilnehmer*innen interviewte man sogar Kommentator*innen verschiedener Delegationen oder Måns Zelmerlöw, den Gewinner des Song Contests 2015. Dieser trat auch wieder als Pausenfüller im Finale auf – wie schon in den Jahren 2019, 2017 und auch 2016. 

Auch die traditionelle „Flag Parade“, das „Einlaufen“ der einzelnen Teilnehmer*innen vor dem Start des Finales blieb recht simpel und auch kurz gehalten. Dauerte die Flaggenparade 2019 noch zehn Minuten, so war die Dauer heuer auf nur vier Minuten beschränkt. Keine einzige ESC-Legende der Niederlande sang hier zwischendurch, dafür aber die Moderator*innen und dies auch nur einen Augenblick. Ein enttäuschendes Fazit: Partystimmung konnte hier, im Gegensatz zu den anderen Jahren, nicht so recht aufkommen, wenn man die Auftritte der einzelnen Länder ausnimmt. Was andere in einem Jahr und mit wenig Budget auf die Beine stellten, schafften die Niederlande in zwei Jahren überhaupt nicht. Vermutlich machte man sich mehr Gedanken über ein funktionierendes COVID19-Sicherheitskonzept. 

Starke Lieder, keine Chance

Die angetretenen Songs hingegen konnten deutlich mehr überzeugen. Freilich sind es klassische ESC-Lieder. Von skurril, ulkig bis hymnenhaft war alles dabei. Doch auch hier gab es außerordentlich viele Überraschungen. Bereits im Vorfeld waren sich Expert*innen einig, dass Länder wie Belgien oder Portugal nicht ein mal eine Chance auf das Finale haben, denn dazu wären ihre Beiträge einerseits zu „ESC-unreif“, andererseits zu melancholisch oder ruhig. In Zeiten der Pandemie, wo Menschen täglich herausgefordert werden würden, kein Erfolgsrezept. Und voilà, sie kamen doch tatsächlich ins Finale. Im Kontrast zu vergangenen Jahren mit ähnlich aufgebauten Liedern fast ein Wunder. Dafür schieden Länder aus, die eigentlich im Vergleich mehr oder weniger „starke“ Lieder hatten. Kroatien wäre hierfür ein Beispiel. 

Den Eurovision Song Contest gewonnen hat Italiens Band „Måneskin“ mit einer italienischen Rocknummer. Fragen darf man sich nur, warum. Im Gegensatz zu Lordi, welche den Contest 2006 zuletzt mit einem Hard-Rock-Song für sich entscheiden konnten, hatte „Zitti e bouni“ nichts Außergewöhnliches an sich. Ein planloses Herumgehüpfe und mehr Geschrei als Gesang. Normalerweise kein Erfolgsrezept, vielmehr sind solche Nummern verpöhnt. Doch heuer wirkte es bei Italien und Finnland, letzteres kam schlussendlich auf Platz fünf. Man muss kein Rock-Fan sein, aber Lordi hatte 2006 ein viel besseres Lied. Bei der Fülle an talentierten Künstler*innen eigentlich ein „Torraub“, wie man im Fußball sagen würde. Enttäuschend ist auch, dass Italien in den letzten Jahren viele gute Lieder hatte, doch nie einen Triumph feiern konnte. Und ausgerechnet heuer muss Italien gewinnen, das wirkt in Anbetracht dessen fast schon zynisch. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die Band nicht ansatzweise den Gewinn in Würde hinnahm. Klar ist immer ausgelassene Freude dabei, was auch mehr als verständlich ist, aber das Benehmen bei der Pressekonferenz, war dann wirklich „too much“. Von diesen Eklats abgesehen, ist es nicht minder interessant, dass gleich hinter Italien Frankreich platziert ist. Zwei der „Big 5“-Länder ganz oben auf dem Treppchen zu sehen, ist eine Seltenheit geworden.

Diese Sequenz soll Gewinner Damiano David bei der Konsumation von Koks zeigen. Quelle: Eurovision Song Contest 2021 – Grand Final | EBU; Screenshot aus YouTube
Next year moving to Italy? 

Ob der Song Contest tatsächlich in Italien ausgetragen wird, ist wenige Stunden nach dem Sieg schon wieder offen gewesen. Angeblich, und das zeigen TV-Bilder, hat Frontsänger Damiano David Drogen zu sich genommen. Die Band dementiert die Vorwürfe, aber sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, dann ist es äußerst wahrscheinlich, dass Italien der Sieg aberkannt wird und Frankreich – genauer gesagt Barbara Pravi –  zugesprochen wird. Die Chancen dafür sind aber eher gering. Es wäre ja auch das erste Mal in der Geschichte des ESCs, dass ein (Sieger-)Land im Nachhinein disqualifiziert werden würde. Und, ganz ehrlich, wenn ein Song, der Hass verherrlicht, nicht ausgeschlossen wurde, dann darf auch Italien gerne der Sieger des diesjährigen Eurovision Song Contest bleiben. 

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