Wer sich schon einmal vom Alsergrund dem Schottentor genähert hat, wird unweigerlich am Lokal „mittendrin“ vorbeigekommen sein. Das Lokal ist verbunden mit einem wichtigen sozialen Zweck, denn hier arbeiten ehemals obdachlose Menschen, die von ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen unterstützt werden. Doch das Lokal ist nicht das einzige Projekt der Organisation „VinziRast“. Chefredakteurin Chiara-Marie Hauser hat sich mit Renate Hornstein, der Kommunikationsleiterin der „VinziRast“, zum Interview getroffen.
CMH: Frau Hornstein, was ist die VinziRast?
Renate Hornstein: Die VinziRast ist eine gemeinnützige, soziale Organisation, die 2003 von Cecily Corti und weiteren Ehrenamtlichen gegründet wurde, mit dem Ziel eine Notschlafstelle in Wien zu öffnen. Heute umfasst die VinziRast sechs verschiedene Projekte für obdachlose und ehemals obdachlose Menschen und für Geflüchtete: Die Notschlafstelle, drei Wohngemeinschaften, ein Lokal mit Arbeitsplätzen für ehemals obdachlose Menschen, ein Halbtagesstruktur-Projekt für Menschen im Asylverfahren mit Deutschunterricht und Beschäftigung in unseren Werkräumen und seit Mai 2023 einsolidarisches Landwirtschafts- und Wohnprojekt in Niederösterreich.
CMH: Wie viele Menschen nehmen derzeit die Angebote der VinziRast wahr, kann man da eine grobe Zahl nennen?
Renate Hornstein: Bis zu 80 Menschen finden in unseren Wohnprojekten einen festen Wohnplatz, pro Nacht übernachten etwa 50 Menschen in der Notschlafstelle, 15 Teilnehmer:innen nehmen im Beschäftigungsprojekt VinziRast-Chance teil.
CMH: Die VinziRast hat auch eine Notschlafstelle, können Sie mir den täglichen Ablauf der Notschlafstelle genauer schildern?
Renate Hornstein: In der Notschlafstelle empfangen wir täglich, 365 Tage im Jahr, um 18:30 etwa 50 Gäste. Sie können in der Regel (mit Ausnahmen) 30 Nächte hintereinander zu uns kommen. Neuen Gästen wird ein Bett zugeteilt, sie erhalten außerdem nach Bedarf Kleidung, Hygieneartikel etc. aus unserem Sachspendendepot. Abends gibt es ein warmes Essen und morgens ein Frühstück bevor unsere Gäste das Haus wieder verlassen. Alle Arbeiten in der VinziRast—Notschlafstelle, von der Leitung, über die Frühstücks-, Abend- und Nachtdienste bis hin zur Administration, werden von Freiwilligen getragen.
CMH: Das Thema Obdachlosigkeit ist weiterhin mit Stereotypen und Vorurteilen behaftet. Was denken Sie, gibt es Ansätze oder Wege diese Stereotypen aufzubrechen?
Renate Hornstein: Es ist vor allem wichtig das Thema aus der Sicht von Betroffenen zu begreifen. Ihre Erfahrungen zu hören, zu verstehen, welche Momente in ihrer Geschichte entscheidend dazu beigetragen haben, dass sie obdachlos geworden sind, trägt viel zur Bewusstseinsbildung bei. Viele Menschen sind überrascht, wenn sie im Rahmen einer Führung bei uns erfahren, dass tatsächlich Menschen aus nahezu jeder sozialen Schicht, jedem denkbaren Bildungshintergrund und an sich gutem familiären Netz durchaus auch betroffen sein können. Deshalb bemühen wir uns, in unserer Öffentlichkeitsarbeit Menschen zu Wort kommen zu lassen, die aus eigener Erfahrung schildern können, was Obdachlosigkeit bedeuten kann. Zuletzt waren im Rahmen der Kampagne “VinziRast hilft auf” Stimmen von Bewohner:innen zu hören.
CMH: Gerade im Winter wird besonders auf Möglichkeiten aufmerksam gemacht, wie man obdachlosen Menschen helfen kann, wie kann man, außer mit monetären Spenden, noch helfen?
Renate Hornstein: Die Projekte der VinziRast werden ausschließlich durch Spenden finanziert, die tägliche Arbeit wird zu 95% von Freiwilligen getragen. Eine Möglichkeit sich zu engagieren, ist die freiwillige Mitarbeit in der VinziRast und in anderen Organisationen, die auf die Mithilfe von Ehrenamtlichen angewiesen sind. Firmen und private Personen, die ihre Berufserfahrung bzw. Arbeitsleistungen einbringen können, sind ebenfalls eine unverzichtbare Unterstützung. Darüber hinaus werden in allen Projekten Sachspenden benötigt. Um Verschwendung zu vermeiden, ist der Bedarf auf unserer Website nachzulesen.
CMH: In Wien gibt es eine Vielzahl an Organisationen, die Hilfe für obdachlose Menschen anbieten, aber ich kann mir vorstellen, dass es noch viele Brennpunkte gibt, denen sich angenommen werden muss. Haben Sie Wünsche oder Anregungen, wie man die Hilfsangebote verbessern könnte?
Es wäre sehr wichtig die nächsten Schritte in Richtung eines bedingungslosen Grundeinkommens zu gehen, das Winterpaket der Stadt Wien auszubauen, sowie insbesondere Angebote für Frauen, die oftmals in versteckter Obdachlosigkeit leben und Angebote für Menschen zu entwickeln, die mehr als einer Zielgruppe zuzuordnen sind. Im VinziRast-mittendrin beispielsweise leben ehemals obdachlose Menschen, Geflüchtete und Studierende unter einem Dach in 10 Wohngemeinschaften. Ein Zusammenleben in Gemeinschaft von Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und Thematiken kann ein idealer Rahmen für Inklusion sein, wie wir hier täglich erleben.
Wir bedanken uns bei Renate Hornstein für das Gespräch!