Die Ibiza-Affäre – Überblick, Hintergründe und Verbindungen

Am 17. Mai 2019 veröffentlichten SZ und Spiegel das Ibiza-Video und erschütterten die österreichische Politik in ihren Grundfesten. Mehr als ein Jahr ist seitdem vergangen, und die Ermittlungen zur Ibiza-Affäre beschäftigen Staatsanwaltschaft, Regierung und Öffentlichkeit mehr denn je. Im Hinblick auf den gerade laufenden Ibiza-Untersuchungsausschuss hier also eine Übersicht über die wichtigsten Handlungsstränge zum Video und seinen zahlreichen Nebenschauplätzen.

H.C. STRACHES BODYGUARD

Der FPÖ-Sicherheitsmann und H.C. Strache‘s langjähriger Vertrauter Oliver R. ist das mutmaßliche Mastermind hinter dem Ibiza-Video. Jahrelang sammelte er belastendes Material über Strache, nachdem er sich von diesem nach schwerer Krankheit im Stich gelassen fühlt. Als R. sich jedoch 2015 an die Behörden wendet, sind diese nicht bereit, seine Geldforderungen im Gegenzug für die Beweise zu erfüllen. Daraufhin nimmt R. Kontakt zu einem alten Bekannten, dem Wiener Anwalt Ramin M. auf, der heute, neben dem Detektiv Julian H., als einer der Drahtzieher hinter dem Ibiza-Video gilt.

SPENDENAFFÄRE

Wie später bekannt wird, handelt es sich bei dem Bodyguard-Material um falsche Spesenabrechnungen von H.C. Strache gegenüber der Freiheitlichen Partei. Strache’s ehemalige Büroleiterin sagt aus, private Rechnungen „umgewandelt“ zu haben, um die Ausgaben als Parteispesen abrechnen zu können. Über solche Scheinbelege finanzierte Strache beispielsweise die Nachhilfestunden seines Sohnes, Urlaube, Medikamente, private Taxifahrten und ähnliches.

EIN VIDEO ENTSTEHT

Im Juli 2017 schnappte die Ibiza-Falle schließlich zu. Auf der spanischen Urlaubsinsel entsteht die 20 Stunden lange Aufnahmen eines Treffens zwischen den beiden Politikern H.C. Strache (damals Bundesparteiobmann der FPÖ und Klubobmann) und Johann Gudenus (damals nichtamtsführender Wiener Vizebürgermeister und enger Vertrauter Straches) sowie seiner Ehefrau Tajana Gudenus und der vermeintlichen russischen Oligarchennichte Aljona Makarowa.

Das Gespräch dreht sich unter anderem um Investitionen und mögliche künftige Bauprojekte der Russin in Österreich, Spenden an die Freiheitliche Partei sowie passende Gegenleistungen und die Umgehung der Gesetze zur Parteienfinanzierung. Strache bringt auch eine mögliche Übernahme der Kronenzeitung durch die Russin auf den Tisch und macht Anspielungen auf die indirekte Beeinflussung der Berichterstattung im Sinne der Freiheitlichen Partei. (Anmerkung: Die Kronenzeitung ist die auflagenstärkste Tageszeitung Österreichs seit 1968.) Die nicht öffentlich bekannten Teile des Videos enthalten außerdem zahlreiche diskreditierende Behauptungen über österreichische Journalisten, hochrangige Politiker und politische Gegner der FPÖ.

REGIERUNGSAFFÄREN DER TÜRKIS-BLAUEN KOALITION

Während die Hintermänner versuchen, das Ibiza-Video zu Geld zu machen, ist H.C. Strache mit seiner Partei seit der Nationalratswahl 2017 Teil der türkis-blauen Koalition an der Spitze Österreichs. Wie später bekannt wird, kommt es während dieser Zeit zu mehreren möglicherweise korrupten Vorgängen, in die sowohl die ÖVP als auch die FPÖ verwickelt sind. Einerseits stehen Vermutungen über einen ÖVP-Postenschacher rund um die Casinos Austria AG im Raum, andererseits Verwürfe gegen die FPÖ, Geschäfte mit einem Währinger Privatklinikbetreiber getätigt zu haben. Auch die undurchsichtige Spendenverwaltungen bei beiden Parteien gibt Grund zur Sorge.

DER ZUSAMMENBRUCH DER REGIERUNG

Im Mai 2019 geht alles sehr schnell. Ausschnitte des Ibiza-Videos werden von der Süddeutschen Zeitung und dem Spiegel veröffentlicht. Schon einen Tag später treten Strache und Gudenus von ihren politischen Ämtern zurück. Kanzler Kurz beendet die Koalition mit der FPÖ und kündigt Neuwahlen an, will aber bis dahin den Staat mit einer ÖVP-Alleinregierung führen. Am 27. Mai wird diese Regierung mithilfe eines von SPÖ, FPÖ und Liste Pilz angestoßenen Misstrauensvotums gestürzt; ein bisher einmaliger Vorfall in der Geschichte der Zweiten Republik. Bis zu den vorgezogenen Neuwahlen im September leitet ab dem 3. Juni eine Expertenregierung unter Brigitte Bierlein die Regierungsgeschäfte. Bierlein bekleidet dieses Amt als erste Frau in der Geschichte Österreichs.

Gleichzeitig beginnen die Ermittlungen zum Ibiza-Video, aufgeteilt auf mehrere Behörden. Während die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) sich mit der Prüfung der Inhalte des Videos beschäftigt, macht sich die Staatsanwaltschaft Wien an die Ausforschung der Hintermänner und investigiert strafrechtlich relevante Details. Eine eigens geschaffene Sonderkommission der Polizei, die SOKO Tape (auch SOKO Ibiza genannt) ermittelt im Auftrag beider.

DIE SCHREDDERAFFÄRE

Fast zeitgleich kommt ein Vorfall aus den letzten Tagen der ÖVP-Regierung ans Licht. Kurz’ Mitarbeiter, Arno Melicharek, nimmt am 23. Mai fünf Festplatten aus dem Bundeskanzleramt, bringt sie der Firma „Reisswolf“ und lässt sie dort unter fremdem Namen schreddern. Die Sache fliegt auf, als niemand die Rechnung für die Vernichtung der Festplatten begleicht. Schnell stellt sich heraus, dass der Auftrag von Bernd Pichlmayer, einem Mitarbeiter aus dem Kabinett von Kanzleramtsminister Gernot Blümel, kam. Protokoll über die Vernichtung gibt es keines.

Nachdem zwischen Ankündigung des Misstrauensantrags und Schreddern der Festplatten lediglich drei Tage vergangen sind, liegt für die WKStA die Vermutung einer Ibiza-Verbindung nahe. Sie beauftragt die SOKO Ibiza nach einer solchen zu suchen und im Zuge dessen das Handy von Melicharek zu beschlagnahmen. Niko R., der eine Hausdurchsuchung bei Melicharek durchführt, nimmt jedoch weder das Handy noch Melicharek’s Laptop mit. Wie sich später herausstellt, ist Niko R. ein ehemaliger ÖVP-Gemeinderatskandidat mit engeren Verbindungen zu H.C. Strache.

Die WKStA will die SOKO per schriftlicher Weisung zum Handeln zwingen und ordnet die Beschlagnahmung von Melicharek’s Handy und Laptop an – sowie die Einvernehmung von Bernd Pichlmayer. Bevor die Weisung jedoch in Kraft treten kann, wird der Fall der WKStA plötzlich per Weisung des Leiters der Oberstaatsanwaltschaft Wiens, Johann Fuchs, entzogen. Die Weisung stellt fest, dass die WKStA ihre Ermittlungen einstellen muss, falls eine Rückfrage beim Bundeskanzleramt keine konkreten Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen den Festplatten und dem Ibiza-Video liefert. Das Bundeskanzleramt verneint diesen Zusammenhang und die Ermittlungen werden eingestellt.

Hier wurde der WKStA ihr historisch schlechtes Verhältnis zum Innenministerium (und damit der dem Ministerium unterstellten Exekutive und somit der SOKO Ibiza) zum Verhängnis. Von den 26 Innenministern der 2. Republik stellte die ÖVP zwölf, und wurde damit zwangsläufig immer wieder zum Ziel von Ermittlungen der WKStA. Auch der Vorwurf der Befangenheit der SOKO Ibiza zu Gunsten der ÖVP steht immer wieder im Raum. Arno Melicharek wurde mittlerweile zum Referatsleiter bei Kurz im Bundeskanzleramt befördert.

NATIONALRATSWAHLEN 2019

Bei den vorgezogenen Neuwahlen im September 2019 (ursprünglich: 2022) triumphiert die ÖVP mit 37,5 Prozent der Stimmen und einem Zugewinn von neun Mandaten. Die FPÖ stürzt ab und erreicht, weiter geschwächt von der gerade bekanntgewordenen Spendenaffäre, nur klägliche 16,2 Prozent der Stimmen, was einem Verlust von 20 Mandaten entspricht. Die neue Bundesregierung Kurz II mit einer türkis-grünen Koalition wird am 7. Jänner 2020 von Bundespräsident Alexander van der Bellen angelobt.

DER IBIZA-UNTERSUCHUNGSAUSSCHUSS

Im Dezember 2019 bringen SPÖ und NEOS im Nationalrat einen Antrag auf einen Untersuchungsausschuss betreffend der mutmaßlichen Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung ein. Nach einer pandemiebedingten Verschiebung startet der Ibiza-U-Ausschuss im Juni 2020. Vorsitzender ist Wolfgang Sobotka, Nationalratspräsident und Angehöriger des ÖVP-Parlamentsklubs. Thematisiert wird diesmal jedoch weit mehr als „nur“ der Inhalt des Ibiza-Videos.

Ein besonderes Interesse besteht auch an den undurchsichtigen Parteispenden der ehemaligen Regierungsparteien. Es steht der Verdacht im Raum, dass sowohl ÖVP als auch FPÖ gezielt Spenden über parteinahe Vereine leiten, um die Meldung an den Rechnungshof zu umgehen. Ebenso ist der fragwürdige, halb-geheime Umgang mit Großspendern Teil der Untersuchungen.

Nach dem Auftreten der Casinos-Affäre rund um den vermeintlichen Postenschacher der ÖVP und FPÖ ist nun auch dieses Thema im U-Ausschuss. Stark vereinfacht handelt es sich hierbei um den Vorwurf, dass die Regierung gemeinsam mit der Novomatic den nicht ausreichend qualifizierten FPÖ-Bezirksrat Peter Sidlo zum Vorstandsmitglied der Casinos Austria AG (Casag) gemacht habe – eine immens teure und nicht notwendige Neubesetzung. Der U-Ausschuss beschäftigt sich mit hochrangigen Beschuldigten, wie dem Aufsichtsrat der Casag, Ex-Novomatic-CEO Harald Neumann und sogar Ex-Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP). Auch der Verdacht auf weitere ausgemachte Postenbesetzungen steht im Raum, z.B. bei der Austro Control, bei der während der Amtszeit der Kurz-Regierung plötzlich die ÖVP-nahe Kathrin Glock in den Aufsichtsrat bestellt wurde.

Letztlich behandelt der U-Ausschuss auch noch die Causa Privatklinik. Hierbei soll Strache mit dem Betreiber der Privatklinik Währing eine Absprache über eine Gesetzesänderung getroffen haben. Der Betreiber wollte in die Prikaf-Liste aufgenommen werden, eine Liste jener Privatspitäler, die Zugang zum Finanzierungsfonds der privaten Krankenanstalten haben, womit für PatientInnen ein Teilkostenersatz für Behandlungen möglich wird. Während Straches Amtszeit wurde die Klinik 2018 in die Liste aufgenommen, vermutlich für eine Gegenleistung für die Freiheitliche Partei.

LANGSAME FORTSCHRITTE

Der U-Ausschuss fördert zwar fast täglich neue Informationen zutage, dennoch gehen die Ermittlungen nur schleppend voran. Sie werden erschwert durch Konflikte zwischen der SOKO Tape, der Staatsanwaltschaft Wien, der WKStA und dem Justizministerium. So liegt der SOKO Tape das Ibiza-Video in voller Länge zum Beispiel seit Ende April vor, worüber sie jedoch nur die Staatsanwaltschaft Wien, nicht aber auch die WKStA informiert. Als Vorsitzendem Sobotka das Video aus anderer Quelle angeboten wird, lehnt er ab; das Video liegt dem Ausschuss bis heute nicht vor. Vorwürfe zur Befangenheit Sobotkas verhärten sich, nachdem er nun in Sachen Parteispenden selbst vor den Ausschuss geladen wurde. Ebenso stellen sich viele Befragungen aufgrund fehlender Dokumente oder gravierender Erinnerungslücken der Befragten als weniger informativ heraus als ursprünglich gehofft.

Der Ausschuss läuft noch bis zum 17. Juli, bevor er in eine Sommerpause geht. Ein Blick auf die Ladungsliste lässt hoffen, dass die nächsten Befragungen zumindest etwas Klarheit über die Vorfälle in der österreichischen Regierung schaffen. Doch selbst wenn der Ausschuss die Causa Ibiza nicht restlos aufklären kann, hat er durch die Offenlegung von Korruption, Machtmissbrauch und Parteibuchwirtschaft die österreichische Politik wohl nachhaltig geprägt.

Für alle genannten Personen gilt die Unschuldsvermutung.

Autor*in:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

10 − drei =