Beatles, Rolling Stones, Led Zeppelin, Pink Floyd, Queen und viele mehr. Die bekanntesten Bands der Rockgeschichte kamen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, alle aus England. Doch vor 30 Jahren, Anfang der Neunziger, war ihre Musikkultur beinahe ausgestorben. Da erstürmten ein letztes Mal die Rockbands der kleinen Insel die Weltbühne und gaben so Gas, dass sie wenige Jahre später ausbrannten … und mit ihnen der lange an der Spitze stehende Rock.
Egal, ob man eher auf der Beatles oder auf der Stones Seite ist, der Rock war ein englisches Phänomen. Natürlich werden Amerikaner das Gegenteil argumentieren, besonders wenn man an Robert Johnson, Link Wray und vor allem Elvis Presley denkt. Und es stimmt auch, dass von dort die Wurzeln stammten, doch England war das Land, in dem es zum Höhepunkt kam, in dem sich das Zentrum bildete, als Ende der 60er die wilde Musik die ganze Welt überrollte. Und es folgten ein paar goldene Jahre für die Insel. Neben den oben genannten Giganten fanden sich hier auch die ersten Vorgänger des Hard Rocks und Metals in The Who und Black Sabbath. Nicht zu vergessen die großartigen Singersongwriter David Bowie und Elton John, die wiederum eigene Musikrichtungen entwickelten. Aber auch im Punk war England mit den Sex Pistols und The Clash populär vertreten.
Doch im darauffolgenden Jahrzehnt drohte diese Musikkultur langsam in Vergessenheit zu geraten. Die Bands des so genannten „Britpop“ griffen ab den frühen 90ern wieder zu den Gitarren und holten, in Erinnerung an die einst so großartige Musikszene des Landes, wieder den Rock hervor, mit dem sie aufgewachsen waren. Das waren auch die wesentlichen Merkmale der Musikrichtung: die Rückbesinnung auf die alten Bands und das Hervorheben des Englischen in jedem Sinne, vor allem aber auf sprachlicher Ebene.
Einen genauen Anfang dieser Bewegung zu datieren, fällt schwer. Vorläufer waren jedoch die Smiths und meiner Ansicht nach schon Anfang der 80er Joy Division, wobei man über jene diskutieren kann. Richtig ins Rollen kam der neue Stil durch die Bands Suede und Blur, die dann 1994 durch ihr Album „Parklife“ augenzwinkernd das definierende Werk der Bewegung setzten. Im selben Jahr trat allerdings auch die Band Oasis aufs musikalische Parkett und lieferte sich mit Blur den lautesten Krieg, den Bands jemals aufgeführt haben, den „Battle of Britpop“.
Dass Musiker miteinander verglichen werden, ist nichts Einzigartiges. Stones oder Beatles? Strokes oder White Stripes? Katy Perry oder Taylor Swift? Doch Blur und Oasis trieben das Battle an die Spitze. In Blur trat die noble Bürgerschicht Südenglands gegen Oasis und die rohe Arbeiterschicht Nordenglands auf, das musikalisch Experimentelle gegen die lauten Hymnen. Beide wollten die wichtigste Band der Britpop Bewegung sein. Dabei machte der Wettkampf musikalisch überhaupt keinen Sinn. Der Musikstil der Blurs überschnitt sich in keinster Weise mit dem von Oasis. Während sich erstere an komplexere und im Vergleich beinahe nischige Werke hielten, inspiriert von den Kinks und Pink Floyd, schrieben Oasis und vor Allem ihr Mastermind Noel Gallagher einen Hit nach dem anderen, wobei musikalisch sogar darauf Bedacht genommen wurde, die Nummern extra noch zu vereinfachen. Wie viel Oasis aus wenig machen konnten, zeigt sich besonders in ihrem vielleicht bekanntesten Song „Wonderwall“. Heutzutage kann jeder, der schon mal eine Gitarre in der Hand gehalten hat, den aus fünf Akkorden bestehenden Klassiker spielen. Und selbst wenn nicht, nach einmaligem Vorspielen kann bei dem einfachen Rhythmus nicht viel falsch gemacht werden.
Und trotzdem provozierten die beiden Bands einen Kampf auf Biegen und Brechen. Den Höhepunkt fand dieser am 14. August 1995, als beide Bands als Vorgeschmack auf ihre neuen Alben, jeweils eine Single zeitgleich veröffentlichten, um den ersten Platz an der Chart Spitze zu erlangen. Wer also gewann diesen Kampf? Es wird manchmal gesagt: „Blur won the battle, but Oasis won the war“, denn Blurs Song „County House” erreichte in diesem Monat Platz 1 der Charts, doch Oasis Album „What´s the story Morning Glory?” verkaufte bereits in der ersten Woche 347 000 Platten in England, knackte damit alle Rekorde und ließ Blurs Nummer 1 Song gleich in Vergessenheit geraten. Letzten Endes war das ganze öffentliche Beschimpfen aber wahrscheinlich nicht mehr als ein Marketingkonzept der Plattenfirmen und Medien, denn viel eher hätte man Britpop gegen Grunge, Oasis gegen Nirvana abwägen müssen. Aber man muss es ihnen lassen, für zwei Jahre funktionierte die Aufregung und die gesamte Welt blickte wieder auf England.
Wenn man also anhand der oben angeführten Verkaufszahlen Oasis als Gewinner und damit wichtigsten Vertreter des Britpops annehmen darf, kann man an ihnen auch ganz gut sehen, weshalb die Bewegung nicht lange funktionierte. Nach ihrem großen Album gelang Oasis nie wieder ein vergleichbarer Erfolg, auch wenn sie es mit ihren einfachen Songs in den darauffolgenden Alben „Be here now“, „The Masterplan“ und letztlich nochmal ziemlich gut in „Don´t believe the truth“ probierten. Alles an Oasis, wie am gesamten Britpop, war Aufregung, Rebellion, Aggression. Den Künstlern war alles egal, sie stahlen alte Musikthemen, zerstörten Hotelzimmer und lebten in einem Drogen- und Partyrausch.
Oasis verschwanden damit von der Weltbühne, und auch Blur veränderten sich, wurden leiser, wobei ihr Frontman Damon Albarn in der Band Gorillaz weiterlebt. Damit lag der Britpop bereits 1997 am Sterbebett, als es die junge Band, The Verve, ein letztes Mal probierte. Sie waren selber große Oasis Fans und wollten die noch vor Kurzem so große Musik retten. Mit ihrem Album „Urban Hymns“ sah es auch kurz danach aus. Doch schnell gerieten sie in die zwielichtigen Tiefen der Musikindustrie, wurden von einem Produzenten über den Tisch gezogen und verdienten trotz ihres Erfolges letztlich an ihrem bekanntesten Song „Bitter Sweet Symphony“ kaum genug, um die Herstellungskosten zu decken.
In den 2000ern folgte eine sogenannte „second wave of Britpop“ mit den Arctic Monkeys, Franz Ferdinand und Coldplay. Doch der Name ist irreführend, da diese Bands mit Britpop und dem Rock´n Roll nur noch peripher etwas gemein hatten. Schöne Klaviermelodien sind dort, wo noch vor zehn Jahren Gitarrensolos waren. Sanfte Worte sind dort, wo Geschreie hingehört. Und der Pop ist angekommen.
Jetzt ist das nicht in allen Punkten etwas Schlechtes. In vielen, vielen Belangen wäre es nicht ratsam, in die 60er zurückzureisen. Sexismus, Rassismus, Gewalt und überhaupt der gesamte Konservativismus, den der Rock damals bekämpfte, waren in Realität vermutlich nicht so romantisch wie sie bei Led Zeppelin klingen. Doch darin liegt die Magie des Britpops. Wenn man seine Musik hört, ist man in der Vergangenheit, in der Gegenwart der 90er und auch in der Zukunft, da er die Zeiten des Pops schon anteasert und von der Veränderung der gesamten Musikwelt bereits eine Ahnung hatte, als noch alle betrunken auf den Konzerten mit den langen Haaren wippten.