Bilanz vor der US-Wahl: Kein Grund, so pessimistisch zu sein

Wie steht es um Amerika – um die innere Sicherheit, um die Wirtschaft? Gut, sagen die Daten. Schlecht, sagen die US-Bürger:innen.

Die Prognosen sahen schlecht aus. Nach einer globalen Pandemie, einem Krieg in der Ukraine und dem höchsten Leitzins seit den 1980ern, stünde eine Rezession in den USA unmittelbar bevor. Was stattdessen geschah, haben wenige Ökonomen erwartet: Arbeitslosigkeit ist heute beinahe auf einem Rekordtief, die durchschnittliche Kaufkraft der US-Amerikaner:innen ist größer als zuvor und die Wirtschaft wächst mit einer durchschnittlichen jährlichen Rate von 2,9 Prozent, Inflation mit einberechnet. Die Amerikaner:innen verdienen mehr, können sich mehr leisten und bekommen leichter einen Job, als das noch vor Beginn der Corona-Pandemie der Fall war. Der amerikanischen Wirtschaft geht es prächtig… nur glauben das die meisten Amerikaner:innen nicht.

In Umfragen geben doppelt so viele Amerikaner:innen an, dass es der Wirtschaft schlecht geht, als dass es der Wirtschaft gut geht. 39 Prozent der Amerikaner:innen glauben, die Wirtschaft sei in einer Rezession. Davon ist sie weit entfernt. Der Consumer Confidence Index der University of Michigan ist auf einem sehr niedrigen Level, auch wenn er zuletzt etwas gestiegen ist. Dieser misst, wie stark die Befragten darauf vertrauen, dass sie ihr Geld ausgeben können. Es gibt eine Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung der Amerikaner:innen und der Realität. Diese Diskrepanz hat reale Konsequenzen für die Wahl am 5. November. Als Vizepräsidentin der Biden-Administration wird Kamala Harris immer auch mitverantwortlich gemacht für aktuelle Entwicklungen. Im Bereich der Wirtschaft genießt Trump die Meinungshoheit – und nicht nur dort.

Wie sind die Fakten bei „migrant crime“?

Ein ähnlich verzerrtes Bild zeichnet sich in der Wahrnehmung von Kriminalität ab. Trump hält momentan keine Rede, ohne zu erwähnen, wie gefährlich die Straßen der USA geworden seien, seit Biden an der Macht ist. Das setzt Trump in Beziehung zur Migrationswelle, welche die USA momentan erreicht – alles unter dem Schlagwort migrant crime. Die Migrationskrise in den USA ist real, aber der Anstieg der Kriminalität nicht. FBI-Daten zeigen, dass Gewaltverbrechen 2023 und 2024 signifikant weniger geworden sind, genau wie Eigentumsdelikte. Schwere Gewaltverbrechen sind 2024 um ganze 26% gesunken. Die Kriminalitätsrate ist niedriger als noch am Ende von Trump’s Amtszeit. Amerikaner:innen nehmen das aber anders wahr. 

Schon seit den 1990ern geben Amerikaner:innen bei fast jeder Umfrage mehrheitlich an, dass die Kriminalität im Vergleich zum Vorjahr gestiegen sei. Momentan glauben 77% der Amerikaner:innen, dass die Kriminalität am Steigen ist, ergab eine Umfrage des Pew Research Centers. Fragt man Amerikaner:innen aber, ob die Kriminalität an ihrem Wohnort und in ihrer Nachbarschaft gestiegen sei, antworten die meisten mit Nein. Das zeigt, dass das Bild von Kriminalität stark medial vermittelt wird. Beunruhigend für Kamala Harris: Amerikaner:innen legen einen größeren Wert auf Sicherheit, als sie das noch zu Beginn von Joe Bidens Amtszeit getan haben. Das gilt sowohl für Republikaner:innen, als auch für Demokrat:innen. Fast die Hälfte der Demokrat:innen sagt, dass Kriminalitätsbekämpfung eine Priorität des Präsidenten sein sollte, bei Republikaner:innen eine deutliche Mehrheit.

Umfragen zeigen schon seit langem: Donald Trump genießt mehr Vertrauen in der Bevölkerung bei den Themen Wirtschaft und Sicherheit als Kamala Harris oder Joe Biden. Der Effekt auf Harris Wahlkampagne könnte dadurch abgeschwächt werden, dass die Wahrnehmung stark parteipolitisch geprägt ist. Demokrat:innen haben weit mehr Vertrauen in die Wirtschaft als Republikaner:innen. Entscheidend für die Wahl könnten aber die Parteilosen werden, die ebenso deutlich weniger Vertrauen haben als Demokrat:innen. Die amerikanische Wahl bleibt, wenn es nach den Umfragen geht, ein Münzwurf. Bei einer so knappen Wahl kämpfen die republikanische und die demokratische Partei um die wenigen unentschlossenen Wähler. Die getrübte Wahrnehmung der Amerikaner:innen könnte einer Seite der Münze entscheidendes Gewicht geben.

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