Alligatoah und sein Album „off“ – Ist er ’so raus‘?

Der durch Deutschrap bekannt gewordene Alligatoah hat einen Genrewechsel vollzogen. Nun werden harte Gitarrenriffs und rauer Gesang dargeboten. Metal ist das Stichwort. Doch nicht nur die Stiländerung hat für Aufsehen gesorgt, sondern auch das plötzliche mediale Verschwinden des Künstlers.

Die kontroverse Vorgeschichte

Alles hat so gewirkt wie immer, Alligatoah tourt durch den deutschsprachigen Raum, bekommt Beifall und ist genauso erfolgreich wie eh und je. Zum Schluss seines letzten Tourstops in Köln geschah jedoch etwas Sonderbares. Die Hintergrundmusik wurde melancholisch und der Sänger verabschiedete sich mit sentimentalen Worten. Er sprach von Andeutungen der letzten Monate und dass seine Fans „das, was jetzt kommt“ bereits befürchtet haben. Ein letztes Mal stimmte er noch sein berühmtes Trauerfeierlied mit orchestraler Unterstützung an, ehe sich zum Schluss der Vorhang schloss, beschrieben mit „Gern geschehen, Alligatoah, 1989 – 2023“. Zusätzlich leerte er seine Social-Media-Kanäle bis auf einen Beitrag zum Trauerfeierlied mit dem Titel „Fin“, zu Deutsch „Ende“. Außerdem schwärzte er sein Profilbild und lies in der Profilbeschreibung lediglich „Alligatoah war ein deutschsprachiger Musiker“ stehen.

Fans waren schockiert und äußerten ihre Bestürzung in den Kommentarsektionen über das vermutete Ende seiner Künstlerkarriere. Andererseits vermuteten einige andere, dass hinter diesem Schauspiel ein ausgeklügelter Marketingplan steckt. Diese sollten schließlich recht behalten. Nach und nach wurden einzelne Postings in den sozialen Netzwerken von Alligatoah geteilt. Am 3. Dezember gab es schlussendlich Gewissheit. An diesem Tag wurde ein Musikvideo veröffentlicht, verpackt in einer weiteren Marketinggeschichte. Sein Bühnenpartner bei Live – Auftritten, „Basti“, kramt in Alligatoahs alter Wohnung und findet schließlich eine CD mit einem neuen Song. In dem Video ist nicht nur Limp Bizkit Star Fred Durst als Feature vertreten, sondern zum Schluss auch der Verweis auf ein neues Album. Ein Album, dass sich in den Genres Rock und Metal wiederfinden wird. Dazu kommt eine neue Storyline rund um den Künstler via regelmäßiger Social Media Sketche. Diese zeigen ihn im Pelzmantel auf dem Mond. Er hat sich für seinen „Ruhestand“ diese Destination ausgesucht, um weit weg von jeglicher Zivilisation zu sein, um sich ganz allein seinen Hobbys zu widmen.

Die Reaktionen waren gespalten. Manche Fans waren hellauf begeistert und erleichtert, dass ihr Lieblingskünstler die Gitarre nicht an den Nagel gehängt hat. Viele waren auch über den Genrewechsel erfreut, da nun härtere Töne angestimmt werden. Einige waren jedoch auch schwer enttäuscht und getroffen. Sie halten es für Schade und teilweise auch für unnötig, dass der Künstler sein Karriereende andeutet und die gesamte Aktion nur als Marketinggag und Re-Branding verwendet. Es gab sogar Stimmen, die behaupten Alligatoah spielt mit den Gefühlen seiner Fans, was ihm äußert negativ auf sein Sympathiekonto angerechnet werden soll. Dadurch entsteht eine neue Ebene der Diskussion: Die emotionale Abhängigkeit zwischen Publikum und Künstler:in. Ein schwieriges Thema, welches jedoch genug Platz für einen eigenen Artikel haben sollte.

Mittlerweile ist Alligatoah von seiner Künstlerischen Reise am Mond zurückgekehrt. Er nahm ein neues Album („off“) und eine Europatour („Out of Office“) zurück auf die Erde mit.

©Janis Wetzel

„Off“ we go:

Was gibt das neue Album nun musikalisch und lyrisch her? Wie viel Alligatoah steckt in „off“ drinnen und wie gut ist ihm der Genrewechsel gelungen? Auf diese Fragen gibt es keine eindeutigen Antworten und in jedem Song auf der neuen Platte individuell zu hinterfragen. Mit dem ersten Titel „Ich fühle dich“ bekommt man einen guten Vorgeschmack, was man sich vom ganzen Album erwarten kann. Eine Mischung aus harten Gitarrenriffs, aber auch sehr ruhigen melodischen Passagen. Dazu kommen zwischendurch Soundeffekte, die er aus seiner Hip-Hop Zeit in die Alligatoah-Ära mitgenommen hat. Stimmlich gilt das gleiche. Starke, tiefsinnige Strophen bei denen stilvoll mit der deutschen Sprache gespielt wird. Teils mit literarisch hochintellektuellen Metaphern, welche die Hörer:innenschaft zum Nachdenken bringt, teils mit albernen Wortspielen die einen zum Schmunzeln bringen. Diese sind in sauberen Gesang und teils auch im Hip-Hop bzw. Rapstil ausgeführt. Die Strophen und die klassischen Alligatoah Refrains, gehen wie bisher schnell ins Ohr und bleiben dort sehr leicht hängen. Dazu ergänzen auch die ersten „gescreamten“ Vocals auf der Platte.

Hier sind die Meinungen in der Community gespalten. Auf der einen Seite gibt es Fans, die die rauen Klänge in der Stimme gutheißen, aber es gibt auch kritische Stimmen, vor allem aus der Metal-Community, die ihm von diesem Stilmittel abgeraten hätten. Die Schreie seien noch zu schief, übertrieben und passen einfach nicht zu einem Alligatoah Song. Der Musiker ist sich diesem Problem jedoch sehr bewusst. Kurz nach dem Release von „off“ erläuterte er im Podcast bei „Hotel Matze“ die Entstehungsgeschichte zum Album und seinem musikalischen Zugang. In diesem Gespräch gibt er tiefe Einblicke in sein Künstler- und Privatleben und präsentiert sich mehr als der Mensch Lukas Strobel, seinem bürgerlichen Namen, anstatt seiner Kunstfigur Alligatoah. Hier gab er selbst zu, dass er noch mitten im Prozess ist, das richtige „screamen“ zu lernen, welches einerseits schöner zum Zuhören ist, aber vor allem auch seine Stimme nicht langfristig schädigt.

Meinung des Autors:

Am Schluss kann man über „off“ und Alligatoah sagen, dass es eine mutige Entscheidung des Künstlers war diese Entwicklung in seiner Musik vorzunehmen. Der Zugang bezüglich der Vermarktung ist zweiseitig zu betrachten. Man kann es für egoistisch halten, wenn ein Künstler mit den Gefühlen seiner Fans spielt. Das er damit große Teile seiner Anhängerschaft verärgert und ihnen das Vertrauen bricht ist ein Resultat, dass sich Alligatoah selbst zuschreiben muss. Bei seiner Social Media Rückkehr sprach er in einem YouTube Video selbst: „Ich muss mich an meinen Gag halten, ich bin am Ende des Tages Sklave meines Witzes.“ Damit hat der Musiker wohl seine zehn Jahre alte Anspielung aus dem Musikvideo zu „Trauerfeierlied“ gemeint in der seine eigene Beerdigung für 2023 vorausgesagt wurde. Im Podcast „Hotel Matze“ spricht er über sein Verschwinden und gesteht sich ein, dass er auch selbst sehr mitgenommen war von der Reaktion der Fans, ihn habe dieser Schritt auch nicht kalt gelassen.

Anderseits sollte man auch als Fan keine dermaßen große Abhängigkeit zu einer Person des öffentlichen Lebens entwickeln, so dass ein ganzes Weltbild daran hängt. Sogenannte „Parasoziale Beziehungen“ können gefährliche Auswirkungen haben und der psychischen Gesundheit schaden. Die Beziehung ist einseitig, ein Fan kennt den Künstler durch sein öffentliches Auftreten ganz genau, umgekehrt jedoch gar nicht. Deswegen ist es anzuraten eine gewisse emotionale, persönliche Distanz zu diesen Personen zu haben. Man darf selbstverständlich trauern, wenn sich der Lieblingsmusiker zurückzieht, jedoch ist dieser Künstler genauso ein Mensch, der seiner Kunst so nahegehen kann, wie er möchte.

Auch wenn sich viel verändert hat, ist immer noch viel vom „alten“ Alligatoah zu erkennen. Vor allem die starken Texte und die unverkennbaren Refrains zeigen, dass er trotz des Stilwechsels sein großes Talent als vielseitiger Künstler präsentieren kann. „off“ ist sicherlich eine Empfehlung für alle, die gerne Nu-Metal hören und sich experimentierfreudig auf dessen Kombination mit der deutschen Sprache einlassen wollen.

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