„Das ist entscheidend in der Frage, ob man eine Zukunft hat oder nicht.“ – Interview mit Harald Zierfuß

Vor der richtungsweisenden Nationalratswahl im Herbst 2024 trafen sich frisch–Chefredakteurin Chiara-Marie Hauser und frisch–Herausgeber Florian Malcher mit einigen Politikern aus Österreich. Die Themenschwerpunkte behandelten aktuelle politische Debatten und besonders die Anliegen junger Menschen in krisengebeutelten Zeiten. In dieser Ausgabe war frisch zu Gast bei der ÖVP, im Gespräch mit Harald Zierfuß – Landesobmann der JVP.

frisch trifft sich heute in Person von Chefredakteurin Chiara Marie-Hauser und Herausgeber Florian Malcher zum Interview mit dem Obmann der jungen ÖVP Wien, Harald Zierfuß. Vielen Dank für Ihre Zeit und schön, dass wir Sie heute zum Interview treffen können. Wir fangen gleich mit dem ersten Thema an. Wir von frisch sind ein Magazin für junge Menschen, viele davon sind politisch motiviert und wollen Sie ein bisschen besser kennenlernen. Gab es in Ihrer frühen Jugend schon Motivationen, sich politisch zu engagieren und welche waren das?

Ich freue mich sehr, mit Ihnen heute sprechen zu können und auch über Jugendpolitik zu reden. Ich glaube, das ist ein Thema, das man mehr vor den Vorhang bringen muss, weil bei allen politischen Entscheidungen, die jetzt getroffen werden, sind wir Jungen natürlich die, die es am längsten betrifft und deswegen ist es wichtig, dass wir uns mit den Blickwinkeln von jungen Menschen besonders auseinandersetzen. Ich selber komme ursprünglich aus der Schülervertretung. Ich war Unterstufensprecher in meiner Schule in der Kundmanngasse. Das war die erste größere politische Funktion für mich, die ich übernommen habe. Ich war Schulsprecher, Landesschülervertreter, Landesschulsprecher in Wien und am Ende auch zwei Jahre lang Bundesschulsprecher. Jetzt bin ich oppositioneller Gemeinderat bei uns in Wien im Rathaus, ein ganz anderes Thema steht hier im Fokus, auch wenn ich der Bildungspolitik treu geblieben bin, aber natürlich sind die Kompetenzen heute ganz andere.

FM: Haben Sie noch Verbindungen zur Schülerunion oder haben Sie da schon einen gewissen Abstand zur Schulzeit gewinnen können?

Zeitlich bedingt, natürlich. Also jetzt mit 23 bin ich nicht mehr Schüler. Ich kenne aber nach wie vor sehr viele Akteure, die ihre ersten Schritte gemacht haben, als ich schon beim Abschluss war. Ich schaue manchmal vorbei oder bin natürlich für jegliche Schülervertreter nach wie vor Ansprechpartner, wenn sie etwas brauchen und das natürlich auch in meiner Rolle als Bildungssprecher.

FM: Und was waren die Motivationen dahinter sich der ÖVP anzuschließen und für die ÖVP aktiv zu werden?

Ich glaube, dass es für mich von der Werte-Situation her immer klar war, dass es in die Richtung ÖVP gehen wird. Ich glaube, dass mich eine Bildungsministerin, mit der ich zusammenarbeite oder gegen die ich arbeiten durfte als Schülervertreter, motiviert hat, weil das, was umgesetzt wurde, mir überhaupt nicht gefallen hat. Wir haben damals über eine gemeinsame Schule diskutiert, so wie das Framing ist, Gesamtschule, die aber ganz schlecht in der Umsetzung gewesen ist, ohne irgendeine innere Differenzierung. Da bin ich sehr im Thema drin, aber das hat mich damals wirklich nachdenklich gemacht, weil für mich klar war, dass, wenn das so kommt – 10- bis 14-jährige in einer Klasse ohne jegliche Form von Differenzierung – wie das damals der SPÖ-Vorschlag war, nicht funktionieren kann. Es hat mich einfach schockiert, wie man, Entschuldigung der Ausdruck, aber so blöd sein kann. Da gehen Kinder nachher raus und haben keine Chance im späteren Leben. Wir erleben in Wien ganz besonders, dass in Mittelschulen 80 Prozent nicht die Bildungsstandards erreichen im Lesen, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Ich war immer ein Zahlenmensch.
Wenn man auf Eurostat sich die Vergleichswerte von Jugendarbeitslosigkeit ansieht, dann wird einem relativ schnell auffallen, dass Wien die höchste im ganzen deutschsprachigen Raum hat, bei 17 Prozent in etwa, das steigt natürlich von Jahr zu Jahr. Da geht einiges schief. Das ist das, was mich immer mobilisiert hat, eine Bildungspolitik, die so die Augen vor den Problemen verschließt. Integration, zum Beispiel den Kindern die Sprache beizubringen, Kindern auch Fähigkeiten beizubringen, die sie am Arbeitsmarkt brauchen. Das ist entscheidend in der Frage, ob man eine Zukunft hat oder nicht. Ich glaube, dass diese Zukunft vor allem die ÖVP geben kann.

FM: Weil Sie schon Zukunft angesprochen haben, bleiben wir gleich ein bisschen dabei und sprechen den Bund an. Die ÖVP stellt in der momentanen Regierung die Jugendstaatssekretärin, in Person von Claudia Plakholm, obwohl die ÖVP gerade in der Altersschicht 30 und jünger am schlechtesten abschneidet bei ihren Wählern. Laut Statistik Austria waren das bei der letzten Nationalratswahl 27 Prozent. Das ist der niedrigste Wert. Bei den über 60-Jährigen haben sie den stärksten Wert. Warum stellt die Partei bei ihrer geringsten Menge an Wählern gerade dieses Ressort?

Also ganz blöd gesagt, 27 Prozent ist ja nicht nix. Also das muss man auch ganz offen sagen.

FM: Aber genauso viel wie beim Koalitionspartner.

Das ist richtig, aber trotzdem sehr stark repräsentiert. Man muss sich mal vorstellen, dass jeder Vierte, sogar mehr in dem Fall, 27 Prozent, die ÖVP gewählt hat. Also ich glaube, den Anspruch darauf zu stellen, ist durchaus legitim. Claudia Plakholm macht ihre Rolle großartig. Ich glaube, wir werden auch nachher zu den Fällen kommen, die sich aufgetan haben, seitdem sie Jugendstaatssekretärin ist. Mehr Gehalt für Zivildiener, 47 Prozent, was sehr notwendig war. Ich selber war ein Zivildiener und es ist wirklich eine Thematik, wo man sich an den Kopf greift, da junge Menschen hier viel Arbeit rein investieren. Ja, Dienst am Staat und alles, aber dafür auch eine faire Entlohnung. Oder ein digitaler Führerschein mit Florian Tursky, Digitalstaatssekretär, kommt ja auch aus der ÖVP, wo sich ja jeder fragt, warum kann ich das nicht einfach am Handy haben. Auch wenn wir darüber reden, was im Klimaschutz voran gegangen ist, aber darüber werden wir auch noch im Detail reden. Hier fordern Menschen natürlich, dass mehr passieren muss, aber ich glaube auch, dass man anerkennen muss, was hier auch getan wird, federführend von unserer Jugendstaatssekretärin. Auf der anderen Seite weiß ich ja auch aus eigener Erfahrung als JVP-Obmann, wie viele junge Menschen sich bei uns engagieren. Wir haben 100.000 Mitglieder Österreichweit. Damit sind wir die größte politische Jugendorganisation im ganzen Land. Auch gemäß dem, welche Altersgruppen politisch vertreten sind, haben wir extrem viele Nationalratsabgeordnete unter 35. Damit braucht man sich überhaupt nicht verstecken. Also junge Menschen in der ÖVP, sowohl in Mandaten als auch in Wien, sind gut repräsentiert.

FM: Wir können gerne auf den Zivildienst eingehen. Das ist vor allem für viele junge Menschen in Österreich ein Riesenthema, nachdem das allen „tauglichen“ Burschen in diesem Land bevorsteht. Sie haben von einer fairen Entlohnung gesprochen. Wenn man sich das allerdings zurückrechnet, kommt man auf einen Stundenlohn von circa 3,50 Euro. Das sind immer noch 6,50 Euro unter dem gesetzlichen Mindestlohn. Zivildiener sowie junge Menschen leisten oft wirklich schwere körperliche Tätigkeiten im Rettungswesen, in Altersheimen usw.. Da fassen sich vermutlich sehr viele junge Menschen an den Kopf, wenn sie bedenken, dass sie 40 Stunden oder mehr pro Woche arbeiten, eventuell Leben retten und nicht einmal die Hälfte des Mindestlohns bekommen. Wie können Sie rechtfertigen, dass Sie das als faire Entlohnung bezeichnen?

Ich glaube, man muss auf der einen Seite betrachten, was sich verändert hat, seitdem die Junge ÖVP in der Verantwortung ist. Ich glaube, eine Gehaltserhöhung von 47 Prozent ist nichts, wohinter man sich verstecken braucht. Richtig ist auch, dass auch ich meine 300 Euro hatte, damals in etwa als Zivildienerentlohnung und das ist nicht viel. Ich glaube, zu Härtefällen kommt es vor allem dann, wenn jemand eine Lehre gemacht hat und vielleicht auch schon ausgezogen ist und sich eine eigene Wohnung finanzieren muss. Da sind die 300 Euro plus Essensgeld bzw. jetzt sind es ja mehr, etwa 500 Euro, die man dann bekommt als Zivildiener, plus Essensgeld, kommt dann in Richtung 800 – das ist nicht die Welt. Ich glaube, die Richtung, in die es geht mit der Erhöhung, mit der Ersten, ist, glaube ich, eine Gute. Ob es mehr sein kann? Ja, aus meiner Sicht immer. Die Frage ist halt dann auch, finanzieren muss man es auch und wir müssen auch als Bundesregierung überlegen, wie wir mit dem Geld entsprechend umgehen, dass der Steuerzahler hergibt. Ja, wir brauchen Investitionen im Klimaschutz, wir brauchen Investitionen in der Bildung. Ja, ich möchte auch, dass unser Sozialsystem langfristig abgesichert ist, gerade das Thema Pensionen. Ich glaube auch, dass man sich anschauen muss, wie man das finanzieren kann? Jetzt ist ein erster wichtiger Schritt gesetzt worden, federführend von der Claudia Plakholm. Ich glaube, dass sehr viele auch glücklich darüber sind, dass es die Erhöhung gibt. Sie kam viel zu spät. Ich glaube auch, dass die Wertschätzung von Zivildienern eine entscheidende ist, vor allem, wenn man auch bedenkt, wie wichtig Zivildiener sind fürs Funktionieren von unserem System, also, dass Zivildienst einen hohen Stellenwert für unsere Gesellschaft hat und deswegen auch die Anerkennung verdient hat. Wie man den beziffert, ich glaube, das ist eine lange Debatte. Ich bin aber stolz sagen zu können, dass es in unserer Verantwortung fairer geworden ist.

Interview Harald Zierfuss und "frisch"
©ÖVP Wien

FM: Man muss allerdings auch sagen, dass die Agenden der Zivildiener und des Bundesheers schon mehrere Jahrzehnte in der ÖVP gelegen sind. Natürlich nicht mit Claudia Plakholm als Jugendstaatssekretärin, aber vor ein paar Jahren sind Zivildiener-Angelegenheiten noch unter Elisabeth Köstinger gewesen, da hätte man ja auch schon viel früher das Budget erhöhen können. Sie haben gemeint, den Zivildienern Anreize zu machen, Zivildiener-Bedingungen attraktiver zu machen für junge Leute, die teilweise noch keine Arbeitserfahrung haben, die, wie Sie angesprochen haben, vielleicht mit 3,50 Euro nicht so gut zu locken sind. Hätten Sie da konkrete Vorschläge, neben dem weiteren finanziellen Anreiz, Zivildienst beliebter zu machen, sodass vielleicht mehr freiwillig-soziale Jahre gemacht werden oder nicht nur auf Männer spezifisch gedacht wird. Vielleicht auch, dass sich mehr junge Frauen sozial engagieren, um ein freiwilliges soziales Jahr anzutreten.

Ich glaube, dass es auch wichtig ist, dass man seinen Beitrag an der Gesellschaft leistet. Ich gebe zu, das ist in manchen Situationen nicht bleibend und die neun Monate könnte man wahrscheinlich für sich selber auch anders investieren. Man wird sich auch die Frage stellen müssen, wie fair es ist, dass eine kleinere Gruppe nur diesen Dienst leisten muss und nicht alle. Auch die Tauglichkeitsdebatte, die immer geführt worden ist. Österreich ist ein Land, das extrem vom Ehrenamt geprägt ist. Ich glaube, dass ein Zivildienst insofern eine wichtige Rolle spielt, dass er Leute in solche Organisationen hineinführt, gerade bei der Rettung oder auch in der Pflege, wo viele Menschen ihre Tätigkeiten dann auch nachher finden oder vielleicht auch noch ehrenamtlich tätig sind. Mehr Fairness wird es nur dann geben, wenn wir es schaffen, auch wirklich bei der Auswahl gerechter zu werden. Und ja, die ÖVP stellt seit langem viele Regierungsämter und ich glaube auch, dass in unserem Land nicht alles schlimm ist und ich glaube auch, dass wir sehr stolz darauf sein können, wo Österreich gerade steht. Wir werden auch die nächsten Jahre und Jahrzehnte noch viele Herausforderungen haben und das Land wird nie abgeschlossen perfekt sein, auch nicht im Bereich des Zivildienstes. Aber das betone ich schon: Ich glaube, dass sich da viel ins Positive verändert hat, gerade im letzten Jahr.

CMH: Sprechend von Herausforderungen für die nächsten Jahre und Jahrzehnte. Ich glaube, das ist eine sehr gute Überleitung für die Probleme, die die Klimakrise uns herbeibringt. Ich glaube, das Wort „Anreize“ ist schon sehr oft gefallen. Wir haben uns mal den Leitartikel von 2021 von der Jungen ÖVP zum Thema angeschaut und wir sind über einige Anreize gestolpert. Ich zitiere jetzt nur mal einen davon. „Um den Weg in Richtung weniger Verpackungsmüll zu erleichtern, braucht es Anreize für die Produzenten.“ Müsste man da nicht ein bisschen tiefgründiger gehen, anstatt nur Anreize zu stellen? Was kann man da vielleicht noch weiter angehen oder was für Maßnahmen man dann in der Zukunft setzen könnte. Es ist für uns alle eine große Frage und sind „Anreize“ wirklich gerechtfertigt dafür?

Ich glaube, das Entscheidende in der Frage Klimawandel ist Innovation und Forschung. Und wir sehen, dass gerade im Raum Steiermark sehr viele Unternehmen angesiedelt sind, die Großartiges leisten, weil die technologischen Entwicklungen, die da sind, entsprechend auch Fortschritte machen. Ich glaube, dass das etwas ist, wo man mehr investieren muss, wo man schauen muss, dass das voranschreitet, weil auch klar ist, dass Klimawandel ja nicht ein rein österreichisches Thema ist. Wir könnten unseren CO2-Ausstoß um sehr viele Tonnen reduzieren und dennoch würde das Klimaproblem weltweit nicht gelöst sein. Deshalb müssen wir auch sicherstellen, dass wir unseren eigenen Beitrag leisten, um die Umwelt nicht zu belasten und dem Klimawandel entgegenzuwirken, sowohl auf Europäischer als auch auf Globaler Ebene. Neben dem Leitantrag haben wir auch im Juni die Kampagne „Anpacken statt anpicken“ gestartet, bewusst in einer zugespitzten Zeit, weil das Thema natürlich besonders wichtig ist. Claudia Plakhom und der Wirtschaftsbund sind letztens damit vorgegangen, dass man bei den Kassenbons reduziert. Auf der anderen Seite geht es auch um die Frage, welche Produkte sollen zu welchem Preis bei uns im Regal stehen? Stichwort Klimazölle. Sagen wir… ich würde mir eine Wasserspritzpistole kaufen… keine Ahnung. Der österreichische Produzent hat Auflagen, unter denen er sie herstellt, deswegen wird das Produkt teurer, angemessener Maßen. Generell ist es teurer. Der chinesische Produzent hingegen braucht die nicht. Wie kann man das entsprechend auch als Staat oder als Europäische Union so sanktionieren, dass man am Ende auf einen ähnlichen Preis kommt, oder zumindest, dass eine Wettbewerbsgerechtigkeit herrscht, und nicht, dass dann der Konsument am Ende des Tages sich für das günstigere Produkt entscheidet, dass viel klimaschädlicher hergestellt wird. Ich glaube, dass zum Beispiel ein Klimazoll auf EU-Ebene, so wie das die junge ÖVP gefordert hat, im Rahmen der Kampagne, eine Lösung sein kann, eine von vielen. Ich glaube auch, dass wir über CO2-Speicherung nachdenken müssen, wo Dänemark Vorreiter ist, wo auch in Österreich entsprechende Regelungen getroffen werden müssen, dass man hier weiterdenkt. Wir werden nichts forcieren können, dass sich der Lebensstandard von Menschen drastisch reduziert. Ja, wenn niemand mehr von uns ein Handy hat; ja, wenn niemand mehr von uns im Internet ist; ja, wenn niemand mehr als ein T-Shirt hat, dann wird der CO2-Ausstoß reduziert werden. Ich glaube aber nicht, dass viele Menschen dazu bereit sind, das zu machen. Deswegen müssen wir es auch entsprechend schaffen, dass, obwohl der Lebensstandard gleich bleibt oder hoch bleibt, oder vielleicht sogar besser wird, dass wir es schaffen, dass das CO2 sparend gemacht wird und auch entsprechend klimaschonend, umweltschonend ist. Ich glaube, das ist möglich.

CMH: Ich würde sagen, wir bleiben trotzdem bei dem Thema Zukunft und Klimawandel bedingt ja auch Migration.

FM: Viele Politikwissenschaftler meinen, dass die ÖVP vor allem in Asylthemen immer weiter nach rechts rutscht und sich der FPÖ immer mehr annähert. Beziehungsweise, dass einige Aussagen, die heute bestimmte ÖVP-Politiker von sich geben, vor 5-, 6 Jahren eigentlich aus dem FPÖ-Handbuch kämen. Beispielswiese von Bundeskanzler Karl Nehammer, als die Taliban in Afghanistan wieder zurückgekommen sind. Ich zitiere „Es gibt keinen Grund, für einen Afghanen jetzt nach Österreich zu kommen. Das klingt schon sehr danach, als würde es aus FPÖ-Hand geschrieben worden sein. Wie sehr unterscheidet sich die Asylpolitik der ÖVP noch von der Asylpolitik der FPÖ?

Beginnen wir mit der Problemskizze. Ich erlebe das als Bildungssprecher unserer Partei in Wien schon sehr stark, wie die Situation in der Integrationspolitik in Wien ist. In einem Kindergarten in Wien sprechen im Schnitt 63% der Kinder in einer anderen Jugendsprache als Deutsch, im Wien-Schnitt. Das heißt nicht, dass 63% nicht Deutsch können, gar nicht. Wir wissen, dass es in etwa 25% sind beim Schulantritt, weil sie außerordentliche Schüler sind. Also jeder vierte Schüler, der in Wien in eine Volksschulklasse kommt, kann so schlecht Deutsch, dass er dem Unterricht nicht folgen kann. Das ist ein reiner Fakt und ich möchte es auch gar nicht näher bewerten, aber das Problem an der ganzen Sache ist, wie schaffen wir es, dass diese Kinder hier eine Zukunft haben in Österreich? Wenn ein Kind nicht gescheit die Sprache lernt, später nicht gescheit lesen, nicht gescheit rechnen kann… Dann haben weder diese Kinder noch unsere Gesellschaft generell einen Vorteil rausgezogen, sondern es sind Chancen, die versprochen werden, die man aber nicht einhalten kann. Worauf ich hinaus will, ist: Integration funktioniert bis zu einem gewissen Grad gut und ab einem gewissen Grad wird es schwieriger, bis unmöglich. In Wien, glaube ich, sind wir schon in einem sehr schwierigen Stadium, um das so zu sagen. Für mich unerklärbar, wie wir es nicht schaffen, in sechs Jahren hier Aufenthalt, hier großwerdend, hier aufwachsend, nichts anderes als Österreich kennend, außer vielleicht im Urlaub woanders gewesen zu sein, zwei Jahre im Kindergarten gewesen und trotzdem nicht Sätze grammatikalisch bei einer Bildbeschreibung richtig abgeben. Jetzt muss man auch beim Bereich Asyl, glaube ich, recht stark unterscheiden, was sind die Gründe, warum Menschen herkommen. Ich finde es zutiefst legitim, aus persönlicher Perspektive heraus, dass jeder für sich den bestmöglichen Lebensstandard haben möchte und das ist in Österreich sicher besser, als in vielen anderen Ländern weltweit. Die Frage ist auch, können wir es als Gesellschaft, als Staat uns leisten, dass alle Menschen, die einen besseren Lebensstandard haben wollen, hier leben, in Österreich oder, wie vorher gesagt, in Europa? Das wird nicht möglich sein. Man kann, glaube ich, Österreich nicht vorwerfen, dass wir wenige Asylwerber aufnehmen, dass wir wenigen Menschen eine Perspektive bieten. Also das Bild, das uns gerade von linken Parteien oder auch Politikwissenschaftlern in der Frage vorgeworfen wird, kann ich einfach nicht teilen, weil da sind die Zahlen einfach so dermaßen anders, wie man an anderen Ländern sieht, die sich damit schmücken, dass sie viel menschenfreundlicher wären. Luxemburg zum Beispiel, die kaum Asylwerber aufnehmen. Und ja, ob es dafür eine zufriedenstellende Lösung für alle gibt? Ich bin schon ein Optimist, aber das wird wahrscheinlich nicht einfach werden. Das ist ganz simpel zu sagen. Aber nein, Österreich kann nicht jeden Menschen aufnehmen, dem es auf der Welt schlecht geht. Dafür sind wir mit 8 Millionen Einwohnern zu klein. Und das kann man sich auch nicht leisten, ich weiß.

FM: Natürlich kann Österreich nicht alle aufnehmen. Viele sehen eine gewisse rote Linie nicht, wenn aus anderen EU-Ländern Leute aus Amerika nach Österreich zum Arbeiten kommen und keine Probleme haben einen Arbeitsplatz zu finden oder eine Arbeitsgenehmigung zu bekommen. Allerdings lässt man einige Menschen aus Afghanistan nicht nach Österreich, die sich verzweifelt an startende Flugzeuge hängen. Wir alle haben noch diese schrecklichen Bilder im Kopf. Weswegen sich viele fragen, wo diese rote Linie ist. Warum dürfen manche Menschen nach Österreich kommen und manche nicht, obwohl es anscheinend manchen besser und manchen schlechter geht?

CMH: Das ist ein angstbelastetes Thema, auch von vielen jungen Menschen. Wir fühlen einen sehr großen Rechtsruck. Als Historikerin sehe ich das vielleicht ein bisschen intensiver. Und ich glaube schon, dass diese rote Linie ein großes Fragezeichen ist, weil ich sehe sie nicht wirklich.

Ich glaube, dass jeder Mensch, der in unserem Land lebt, eine Perspektive braucht für sich selber. Ohne dass man hier einer Arbeit nachgehen kann, wird man kein erfülltes Leben führen können. Es gibt sicher Nachbesserungsbedarf in vielen  Bereichen. Aber die Lösung, dass Menschen nach Österreich kommen und in ein Sozialsystem fallen, wird großflächig nicht reichen, denn irgendwann stößt auch das Sozialsystem auf sein Grenzen und irgendwie muss man das halt auch aufrechterhalten können, finanzmäßig. Deswegen macht es einen Unterschied, ob jemand hierher kommt, schon einen Arbeitsplatz hat, den er ausführen kann. Wenn eine kleinere Gruppe von Menschen herkommt, die kaum eine Ausbildung haben, die vielleicht nicht lesen können, nicht rechnen können, die die Sprache nicht können, die vielleicht auch keinen Arbeitsplatz finden, dann wird man für eine kleine Gruppe auch Lösungen finden können. Die Frage ist halt schon, wann ist der Punkt erreicht, wo man das nicht mehr schaffen kann. Tausende, hunderttausende Menschen im Land zu haben, die keine Perspektive haben, wird für unsere Gesellschaft keine Lösung sein können. Ich wiederhole es noch mal: Österreich hilft sehr vielen Menschen, wenn man sich die Zahlen anschaut. Ich finde es immer ganz lustig, dass unserer ÖVP vorgeworfen wird, dass auf der einen Seite die Zuwanderungszahlen so hoch sind und von der anderen Seite wird uns vorgeworfen, wir sind so kaltherzig. Also am Ende des Tages scheint rechts unzufrieden, links unzufrieden. Also sind wir irgendwo in der Mitte daheim. So gerne man den Menschen helfen möchte, und ja, aus unserer Sicht, das wird uns ja auch immer vorgeworfen, als christlich-soziale Partei, die natürlich das Wohl der Menschen im Vordergrund hat, von den Menschen, die hier leben. Aber es lässt mich auch nicht kalt, wenn es jemand anderem schlecht geht. Die Bilder sind genannt worden. Politik ist auch davon geprägt, harte Entscheidungen zu treffen, die vielleicht auf den ersten Blick nicht die einfachsten sind. Aber Ende des Tages müssen wir uns überlegen und das ist die Verantwortung der Politik, dass wir nicht nur Probleme benennen, sondern auch entsprechend bestmögliche Lösungen finden.

CMH: Ich glaube, wir kommen zum Ende mit unserer letzten Frage. Wir stehen vor einer Nationalratswahl, bei der es sehr viele Erstwähler geben wird. Warum sollten diese die ÖVP wählen?

Ich glaube, die Frage ist relativ klar. Es gibt drei Personen, die potenziell nächster Bundeskanzler für Österreich sein können. Das ist ein Herbert Kickl, dessen Bilanz darin besteht zu sagen, er möchte die Festung Österreich aufbauen, was auch immer das heißt, mit Grenzkontrollen. Da wird sich jeder von uns freuen, wenn er auf Urlaub fliegt oder die Wirtschaft wird sich auch freuen, die sechs von zehn Euro im Ausland erwirbt, wo unser Wirtschaftssystem zusammenbricht und Grenzkontrollen wieder großgezogen werden. Es gibt dann Andreas Babler, der Sachen verspricht, die, ich würde mal sagen, abenteuerlich sind. Neue Steuern einführen möchte in einem Höchsteuerland wie Österreich, was für die Wirtschaft sehr belastend ist, was Arbeitsplätze kosten wird. Der eine Klassenkampfdebatte anfängt ohne Not, der mit falschen Zahlen argumentiert. Ich erinnere mich zurück an Tempo 100 auf der Autobahn, was, ich weiß nicht, wie viel 100 weniger Verkehrstote bringt. Also ich weiß nicht, ob er jetzt Menschen heilen kann, nachher mit Tempo 100. Wir wissen von den Autobahnverkehrsklubs, dass Tempo 100 – für mich spannend, wenn ich auf die Zahlen schau, ich bin ja kein Experte, habe selber keinen Führerschein – sogar das gefährlichste Tempo ist, weil da die meisten Verkehrsunfälle passieren. Also auch da vollkommen faktenlos argumentiert.

FM: Es liegt daran, dass auf der Landstraße 100 km/h erlaubt sind und die meisten Unfälle auf der Landstraße eben passieren.

Ist durchaus möglich, aber trotzdem entsprechend ein ganz spannender Fakt nebenbei bemerkt, dass die Zahlen von Andreas Babler einfach vollkommen jenseitig waren. Oder eben ein Karl Nehammer, der in einer wirklich schwierigen Phase übernommen hat. Corona war da, es ist ein Krieg da, es sind die Energiepreise, die gestiegen sind. Und ja, es ist nicht alles perfekt gelaufen. Aber ich glaube, dass wir in Österreich froh sein können, hier zu leben. Er ist ein echter Staatsmann, der auch auf europäischer Ebene beweist, dass die Themen, die für Österreich wichtig sind, auch angegriffen werden. Also ich glaube, dass sich durchaus die Frage stellt, wen möchte man als nächsten Bundeskanzler haben. Heißt der Herbert Kickl, heißt der Andreas Babler oder Karl Nehammer. Die andere Sache ist natürlich schon eine inhaltliche Bewertung. Was sind die Themen, die im Fokus stehen sollen? Weiter Stabilität, weiter wirtschaftliches Wachstum oder Klassenkampfdebatte oder rechte Versprechungen, die keiner einhalten kann. Ich glaube, um es zugespitzt zu formulieren, ich finde es vor allem wichtig… ja ich freue mich über jeden, der die ÖVP wählt, aber auch dass junge Menschen zur Wahl gehen. Ich glaube, dass wir auch entsprechende Zeichen setzen müssen, mit einer hohen Wahlbeteiligung, dass wir auch Fragen stellen müssen, die kritisch sind, die vielleicht jetzt nicht jedem schmecken. Viele Fragen, die jetzt gestellt worden sind, waren nicht so gut zu beantworten, aber trotzdem finde ich es gut, dass sie gestellt werden. Das glaube ich, ist der Auftrag für uns als Generation, mit der Wahl ein Zeichen zu setzen, dass es uns nicht egal ist, wie es im Land weitergeht und vielleicht nicht auf die einfachsten Antworten hinhören, egal woher die kommen, sondern auch wirklich überlegen, was sind Maßnahmen, die auch Erfolgsversprechend sind und welche nicht.

CMH: Wir bedanken uns fürs Gespräch.

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