Studieren im Ausland erweitert den Horizont und hilft nachweislich der Karriere. Das größte Förderprogramm hierfür ist Erasmus+, das allein in Österreich jedes Jahr rund 34.000 Menschen im wahrsten Sinn des Wortes mobilisiert.
Es ist warm hier. Wärmer als ich erwartet habe. Ich bereue es, meinen dicken Pullover angezogen zu haben. Ich bin erschöpft von der langen Reise – über 15 Stunden bin ich schon unterwegs. Ich schau aus dem Fenster und versuche so viel aufzunehmen, wie nur möglich. Immerhin sehe ich nun mein neues Zuhause zum ersten Mal. Der Taxifahrer ist schweigsam, beobachtet mich aus dem Rückspiegel. Was denkt er wohl, woher ich komme? Kaum ein Wort hat er mit mir gewechselt. Aber im Moment bin ich froh darüber. Englisch. Ab jetzt muss ich Englisch reden. Kurz kommt Panik in mir auf, wenn ich daran denke, dass von nun an alles auf Englisch sein wird. Ich verdränge den Gedanken gleich wieder. Plötzlich wird das Taxi langsamer. „Here we are, have a good afternoon.“ Auf genau diesen Moment habe ich lange gewartet.
Bereits im Frühjahr wusste ich, dass ich mich auf dieses Abendteuer nach Calgary, Kanada, begeben würde. So ein Auslandssemester braucht viel Organisation und Vorbereitung. Doch was genau versteht man eigentlich unter einem „Auslandssemester“?
Ein Auslandssemester bedeutet, dass man einen Teil seines Studiums im Ausland, anstelle seiner regulären Universität oder FH im Heimatland, verbringt. Im Grunde absolviert man Lehrveranstaltungen an der Austausch-Institution, die einem im besten Fall als ECTS fürs reguläre Studium angerechnet werden. Meist beschränkt sich der Auslandsaufenthalt auf ein oder zwei Semester. An den meisten Universitäten und FHs sind solche Auslandsaufenthalte freiwillig möglich, teils sogar verpflichtend.
Erasmus +
Wer mit dem Gedanken spielt, ein Auslandssemester zu absolvieren, wird früher oder später über den Begriff „Erasmus“ stolpern. Erasmus+ ist ein Förderprogramm, welches Studierenden ermöglicht, sich einen Auslandsaufenthalt zu finanzieren. Dabei bekommen Studierende monatlich Geld – die Summe variiert je nach Zielland. Insgesamt stehen jedem 12 Monate geförderter Aufenthalt zu – entweder am Stück oder in Form von mehreren, kürzeren Aufenthalten. Dabei kann es sich nicht nur ums Studieren im Ausland, sondern beispielsweise auch um Praktika handeln. Die monatliche Förderung bekommt man nur in ausgewählten Ländern – dazu zählen die EU-Mitgliedsstaaten sowie einige mit dem Programm assoziierte Drittländer.
Der Hintergrund: Ursprünglich gegründet wurde das Erasmus-Programm 1987 zur Stärkung einer europäischen Identität. Sein Name ist ein Akronym von EuRopean Community Action Scheme for the Mobility of University Students und erinnert an Erasmus von Rotterdam, einen europäisch gebildeten Humanisten der Renaissance.
(Fun) Facts
Mittlerweile ist es das größte Austauschprogramm für Studierende weltweit. Das Programm zählt schon mehr als 13 Millionen Auslandsaufenthalte und geschätzte eine Million Babys, die aus Erasmus-Beziehungen hervorgingen. Apropos, 27 Prozent der Teilnehmer:innen des Erasmus-Programms bzw. des Nachfolgeprogramms Erasmus+ gehen laut einer europaweiten Umfrage Lebensbeziehungen mit ausländischen Partner:innen ein – das ist etwa doppelt so häufig wie Studierende ohne Auslandsaufenthalte, wo es nur 13 Prozent sind. Die Arbeitslosenquote wieder liegt bei Erasmus-Studierenden fünf Jahre nach ihrem Abschluss um 23 Prozent niedriger.
Tipp: Entscheidet man sich für einen Aufenthalt in einem Land ohne ERASMUS-Förderung, lohnt sich eine Recherche nach alternativen Förderungen. Je nach Herkunftsland, Bundesland des Hauptwohnsitzes und Art des Austausches kann es auch andere finanzielle Unterstützungen und Stipendien geben.
Die Vorteile eines Aufenthalts im Ausland sind bekannt und werden oft gepriesen: Verbesserung der Sprache, kultureller Austausch, neue Leute kennenlernen, Neues lernen, den Horizont erweitern – die Liste ist lang. Dabei darf aber eines nicht vergessen werden: Jeder Auslandsaufenthalt hat auch seine Hürden.
Das Studium
Was das Studium an sich betrifft, so bekommt man in den meisten Fällen entweder fixe Lehrveranstaltungen zugeordnet, welche für Austauschschüler:innen im jeweiligen Programm angeboten werden, oder man sucht sie sich selbst aus. Die Chance, dass diese Lehrveranstaltungen jene Inhalte, die man in dem regulären Semester daheim hätte, perfekt abdecken, ist gering. Oft kommt es zu Wiederholungen oder es werden Dinge gelehrt, die vom Curriculum der Heimatinstitution abweichen. Der Arbeitsaufwand variiert zudem sehr – oft haben Studierende viel mehr zu tun als daheim oder eben einen viel geringeren Workload. Vergessen darf man auch nicht, dass in jedem Land und an jeder Universität anders gelehrt und gelernt wird. Es braucht oft Zeit, sich daran zu gewöhnen und anzupassen. Sprachbarrieren oder fehlende Vorkenntnisse spielen teilweise eine Rolle.
Bei mir in Kanada – inzwischen bin ich schon eine Weile hier – sieht das Studium komplett anders aus als daheim: Anstelle von circa 16 Lehrveranstaltungen habe ich vier sehr intensive Kurse. Statt viel Präsenz, wie ich es von Österreich kenne, habe ich hier kaum Lehrveranstaltungen, dafür einen fixen Stundenplan und wöchentliche Hausaufgaben.
Bei der Entscheidung für ein Auslandssemester sollten sich Studierende also in jedem Fall bewusst sein, dass die Studieninhalte und Anforderungen sehr wahrscheinlich vom regulären Studium abweichen. Flexibilität und Anpassungsfähigkeit sollten sozusagen mit in den Koffer gepackt werden.
„Nur der, der Erwartungen hat, kann enttäuscht werden“, sagt man. Nicht nur, was das Studium betrifft, haben Auslandsstudent:innen zu Beginn ihrer Reise Erwartungen: Freunde fürs Leben finden, tolle Mitbewohner:innen, eine schöne Wohnung, viele Erlebnisse, viel Freizeit und eine sorgenfreie Zeit. An der Erwartung, die „time of your life“ zu haben, sollte man sich nicht festklammern. Früher oder später kommt der bittersüße Moment, in dem jeder Austauschstudent bzw. jede Studentin realisiert, dass er oder sie nicht auf einem langen Urlaub ist, sondern tatsächlich studieren und einen Haushalt schmeißen muss. Phasen, in denen man am liebsten so schnell wie möglich nach Hause möchte oder die einen die Angst befällt, daheim etwas zu verpassen, sind genauso Teil einer Auslandserfahrung, wie die schönen Momente.
Ein Beispiel aus meinem Aufenthalt: Ich habe außerhalb der Uni, vor allem unter den anderen Austauschstudierenden und in meinem Studentenwohnheim, sehr schnell Freunde gefunden. Besonders cool und unerwartet war, wie schnell ich mich mit Kanadier:innen anfreundete. Durch die Freundschaften mit Einheimischen kann ich das Land und die Kultur einmalig kennenlernen – So durfte ich ein ganz klassisches Thanksgiving bei einer kanadischen Familie erleben. Dennoch bin ich enttäuscht, wie wenig ich mit meinen Mitstudierenden zu tun habe. Dadurch, dass sich die meisten schon von vorherigen Semestern untereinander kannten und ich Lehrveranstaltungen aus ganz verschiedenen Programmen habe, ist es schwer hier gute Beziehungen zu pflegen.
Ein weiser Spruch, welcher mich seit dem ersten Tag meines Aufenthalts in Kanada begleitet, ist: „Es ist, wie es ist, aber es wird, was du daraus machst“. Wer sich das zu Herzen nimmt und sein Auslandsabenteuer ohne eine spezielle Erwartungshaltung antritt, wird ebendieses Abenteuer letztendlich erfolgreich bewältigen und sogar in vollen Zügen genießen.