Ich studiere Jus und in der Uni im ersten Bezirk kommt es im Winter sehr oft vor, dass sich Obdachlose vor den eisigen Temperaturen in die Gebäude flüchten. Um zehn Uhr abends müssen sie wieder hinaus und sich mit einem dünnen Schlafsack einen Platz unter freiem Himmel suchen. Neben ihnen lernen Rücken an Rücken die Anwält:innen und Richter:innen von morgen, fein gekleidete Student:innen, die nicht selten aus gutem Hause kommen. Manche von ihnen werden bereits in jungem Alter zu Millionär:innen werden, ohne dass sie dafür je etwas getan hätten. Dieser kleine Querschuss gegen meine Kolleg:innen war vielleicht ein bisschen überspitzt erzählt, aber es stellt sich doch die Frage, wie so große Ungleichheiten tragbar sind, und wieso Österreich als eines der wenigen europäischen Länder keine Erbschaftssteuer hat.
Seit dem Lauterwerden der SPÖ wird öffentlich öfter über mögliche Erbschafts- und Vermögenssteuern diskutiert. Aktuell liegt ein Schwerpunkt der Steuerlast bei Ertragssteuern, die in einem aufsteigenden Tarif das Einkommen besteuern. Dieses System funktioniert so gut, weil Löhne und Umsätze jeden Monat fällig werden, und somit dauerhaft Steuern anfallen. Mit dem alltäglichen Ableben von Menschen wäre dieses Konzept der Dauerhaftigkeit bei einer Erbschaftssteuer im Gegensatz zu einer allgemeinen Vermögensbesteuerung auch gegeben. Der Akt, dass Vermögen von einer Person auf eine andere verschoben wird, passiert somit jeden Tag. Trotzdem wird das im Verhältnis meist geringe Einkommen mit bis zu 50% versteuert und die hohen Erbschaften (mit einem Blick auf beispielsweise Mark Mateschitz) überhaupt nicht. Lediglich die Grunderwerbssteuer von höchstens 3,5% fällt an, sollte sich im Erbe eine Liegenschaft befinden. Davon abgesehen fließen die Gelder ohne jeden Zwischenstopp.
Wenn von dieser umstrittenen Steuer gesprochen wird, sollten einige Mythen gleich beseitigt werden. Erstens wird nicht die gesamte Erbschaft gleich in der Steuer verschwinden. Spekuliert wird auf roter Seite mit 25% ab einer Erbschaft von über einer Millionen Euro, (SPÖ: Arbeitseinkommen entlasten – Millionäre besteuern! https://www.spoe.at/millionaerssteuern/ [Zugriff am 17. 2. 2024]) was bedeutet, dass Beträge bis dahin ganz steuerfrei blieben und selbst die darübersteigenden nicht völlig verschwänden. Zweitens wird oft der zwangsweise Verkauf von Liegenschaften zum Zwecke der Steuerbezahlung gefürchtet. Es stimmt, dass selten derart hohes Barvermögen vererbt wird. Der einfache Fall, dass jemand ein Konto mit 50 Millionen erwirbt und dann den Prozentsatz abzweigt, wird selten gegeben sein. Es ist aber auch nicht gesagt, dass Liegenschaften sofort veräußert werden müssten. Im zivilrechtlichen Erbrecht gibt es zum Vergleich bis zu einem Zeitraum von zehn Jahren eine Stundungsmöglichkeit für die Auszahlung etwaiger Pflichtteilsansprüche (vgl. §§ 765ff. ABGB). Es ist gut vorstellbar, dass in einer möglichen Erbschaftssteuer zum Schutze familiärer Liegenschaften ähnliche Vorkehrungen getroffen würden.
Ein weiteres Gegenargument ist das der Doppelbesteuerung. Gemeint ist, dass angehäuftes Geld, das die Erblasser verdient und schon versteuert haben, durch eine Erbschaftssteuer nochmals besteuert und damit verringert wird. Der Frust der doppelten Verringerung, ist verständlich. Es ist fragwürdig, weshalb man bereits ordnungsgemäß versteuertes Vermögen, abermals steuern sollte. Allerdings wäre das nichts Einzigartiges im aktuellen Steuersystem. Einkünfte aus Kapitalvermögen (Bsp. Aktien) werden zuerst durch die Körperschaftssteuer und dann durch die Kapitalertragssteuer indirekt doppelt besteuert. Und Ausschüttungen aus Privatstiftungen unterliegen streng genommen sogar einer Dreifachbesteuerung. Daher läge bei dieser Doppelbesteuerung trotz des verständlichen Frusts keine Systemwidrigkeit vor.
Ein weiter oft vorkommendes Gegenargument lautet, dass Eltern, die für die Zukunft ihrer Kinder Vermögen anhäufen, dessen nicht beraubt werden sollen. Während auch diese Aussage wohl vernünftig und nachvollziehbar ist, muss in Betracht gezogen werden, dass laut Statistik Austria 17, 5 % der österreichischen Bevölkerung in Armutsgefährdung leben (Statistik Austria, 2022: https://www.statistik.at/statistiken/bevoelkerung-und-soziales/einkommen-und-soziale-lage/armut [Zugriff am 18. 2. 2024]). Immerhin 1,6 Millionen Menschen. Dahingegen ist das Zähneknirschen derer, die ihren Nachkommen die Millionen hinterlassen, meiner Meinung nach zwar berechtigt, aber nicht das primäre Problem.
Wieviel mehr Geld würde eine etwaige Erbschaftssteuer dem Staat tatsächlich bringen? Auf ihrer Website spricht die SPÖ von einem Aufkommen von 500 bis 800 Millionen. Es empfiehlt sich allerdings, diese Werte nochmal von unabhängigen Experten überprüfen zu lassen. Auch hat Babler in Aussicht gestellt, im Gegenzug die Grundertragssteuer im Rahmen eines Freibetrags fallen zu lassen. (Der Standard, 28. 8. 2023: https://www.derstandard.at/story/3000000184539/spoe-fordert-mieteinfrierung-zinsregulierung-anti-teuerungskommission [Zugriff am 23. 2. 2024]) Ob diese Steuerbefreiung von einer Erbschaftssteuer qualifiziert überdeckt wird oder man unterm Strich erst recht auf eine Nullrechnung stößt, bleibt ebenso zu überprüfen.
Und wie sieht es mit anderen Vermögenssteuern aus? Dieselben Stimmen, die eine Erbschaftssteuer befürworten, sprechen oft im selben Atemzug von der Millionärssteuer. Das Problem bei den sonstigen Vermögenssteuern, liegt in der Ideologie, vor allem aber in der Umsetzung. Erstens ist es meiner Auffassung nach nicht unethisch, viel Geld zu erwirtschaften, solange man dies auf faire, legale Weise tut und die bestimmten Ertragssteuern entrichtet. Zweitens gibt es Österreich kein Register, das eine Vermögensaufstellung vornimmt. Der Entwurf dessen, sollte er denn überhaupt möglich sein, würde seinerseits wieder kostspielig werden. Drittens fehlt es an einem Übergangsmodus. Im Gegensatz zu den oben erwähnten Einkommens- und die Erbschaftssteuern, gibt es für eine allgemeine Vermögenssteuer keinen Zeitpunkt, bei dem Geld von einer Person auf eine andere übergeht. Demnach müsste die Steuer periodenmäßig eingehoben werden, bis das Vermögen zur Gänze verschwunden ist. Ein marktwirtschaftliches System kann jedoch keinesfalls darauf abzielen, grundlos Vermögen unmöglich zu machen. Viertens wäre es mehr als fraglich, ob diese Art der Einhebung überhaupt zu einer nennenswerten Erhöhung der Steuereinnahmen führen könnte.
Zurück zur Erbschaftssteuer. Wenn man den politischen Akteuren zuhört, ist es ohnehin zurzeit unwahrscheinlich, dass eine Einigung erwirkt wird. Während die Roten und im Moment eher leisen Grünen Ansätze zu viel fordern, ist auf schwarzer und pinker Seite die Gesprächsbereitschaft überschaubar, und die Blauen, die sich als Arbeiterpartei verstehen, interessanterweise Weise aber trotzdem gegen eine Besteuerung reicher Erben sind, müssen gar nicht erst angeschnitten werden. Die Schere zwischen Arm und Reich geht auseinander, weswegen die Parteien der äußeren Ränder hinzugewinnen. Die sonstigen Vermögenssteuerkonzepte bleiben realitätsferne Umverteilungsfantasien, eine Erbschaftssteuer würde allerdings einen tragbaren Kompromiss der Mitte ermöglichen. Nicht von heute auf morgen, und vielleicht auch nicht mit den oben angesprochenen Konzepten. Aber sie sollten diskutiert werden.