„Ich werd’ so lange singen, bis es keine Nazis mehr auf der Welt gibt“. Von den unzähligen Zitaten ist dieses nur eines ihrer bekanntesten. Esther Bejarano, die inkarnierte Stimme gegen den Nationalsozialismus, ist nun, am 10. Juli 2021, im Alter von 96 Jahren verstorben. Ein (persönlicher) Nachruf auf ein bewegtes Leben.
Von Johannes Gaisfuss
Bejarano, geborene Loewy, kam am 15. Dezember 1924 in Saarlouis als Tochter einer Lehrerin und eines jüdischen Kantors zur Welt. Immer wieder musste die Familie umziehen, welche den ersten antisemitischen Vorfällen in Deutschland geschuldet waren. Ihre älteren Geschwister wanderten aus, Esther Bejarano blieb bei ihren Eltern. Zunächst als Zwangsarbeiterin in einem Blumenladen tätig, wurde sie am 20. April 1943 schließlich ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert.
„Den jungen Leuten sage ich: Ihr habt keine Schuld an dem, was passiert ist. Aber ihr macht euch schuldig, wenn ihr nichts über diese Zeit wissen wollt.“
Esther Bejarano
„Aufstieg“ durch Mädchenorchester
In Auschwitz begann sie für einige Blockältesten, klassische Musik vorzutragen. Aufgrund ihres Talents wurde sie für das Mädchenorchester des Vernichtungslagers vorgeschlagen, wo sie Akkordeon spielen musste. Damit sollte sie großes Glück haben: Sie wurde nicht nur von den schweren Arbeiten verschont, auch die Essensrationen waren für sie großzügiger.
Doch dann der Rückschlag: Bejarano erkrankte an Bauchtyphus. Otto Moll, damals SS-Hauptscharführer und Chef der Gaskammern sowie der Krematorien, setzte sich aber für eine bessere Versorgung Bejaranos ein.
Nachdem Bejarano im November 1943 ins KZ Auschwitz verlegt wurde, wurde sie im Januar 1945 sogar „arisiert“. Abermals waren eine noch bessere Versorgung die Folge. Als die Alliierten näher rückten, wurde sie gezwungen, an den „Todesmärschen“ teilzunehmen. Ihr gelang die Flucht, machte ihre Schwester sowie ihren Bruder ausfindig und zog nach Palästina, wo sie bis 1960 ihr Leben verbringen würde.
Engagement in Deutschland
Nach der Rückkehr in ihre ehemalige Heimat gründete die „Kämpferin gegen den Rassismus und Antisemitismus“ das „Auschwitz-Komitee für die Bundesrepublik Deutschland“, welches bis heute besteht und sich Bildungsreisen in ehemalige Konzentrationslager, Zeitzeugengesprächen und weiteren Veranstaltungen verschrieben hat. Bereits in Palästina als Musiklehrerin an verschiedenen Schulen aktiv, ging Bejarano in Deutschland noch einen Schritt weiter: Als Mitglied verschiedener Bands trat sie bei Konzerten für den Frieden auf. Bis zum Schluss blieb sie den Bühnen treu und trat mit der Gruppierung „Microphone Mafia“ regelmäßig auf. Auf die Frage der ORF-Moderatorin Lisa Gadenstätter, wie sie es denn mit (damals) 93 Jahren schaffe, noch auf der Bühne zu stehen, antwortete die schlagfertige Frau, sie wisse es zwar nicht wie, aber auf jeden Fall schaffe sie es.
Ich freue mich, wenn mir die Leute zuhören. Da lebe ich auf.
Esther Bejarano
Einsatz bis zum Schluss
Doch nicht immer stieß Bejarano mit ihrem Einsatz auf Verständnis. So gab sie beispielsweise an, bei einer Demonstration von der Polizei attackiert worden zu sein. Nicht selten war die Holocaust-Überlebende auch bei Diskussionsrunden im TV geladen und als Interviewpartnerin äußerst gefragt. Im Jahre 2017, also mit 92 Jahren, wurde sie von der Deutschen Kommunistischen Partei als Bundestagskandidatin aufgestellt, Bejarano zog diese Kandidatur allerdings zurück. Unermüdlich kämpfte sie bis zu ihrem Tod für eine gerechtere, bessere und friedlichere Welt.
Ich sehe Parallelen zur damaligen Zeit und das macht mir Sorgen. Wir müssen unsere Demokratie bewahren und wir dürfen nicht schweigen!
Esther Bejarano
Ich persönlich wurde dank einer sehenswerten ORF-Dokumentation aus dem Jahre 2018 auf Bejarano aufmerksam. Ich bewunderte es, mit welchem Einsatz sie sich für ihre „Herzensangelegenheiten“ einsetzte, wie viel Humor sie aufbrachte und vor allem, wie ehrlich und direkt sie die Dinge beim Namen nannte. Ihre Stimme mag nun zwar verstummt sein, aber ihre Botschaft nicht. Gerade in Zeiten, in welchen Rassismus und Fremdenhass erneut auf einen Höhepunkt zusteuern, müssen uns Bejaranos Worte als Leitbild dienen und wir sollten ihr Erbe ehren und weiterführen.
Frau Bejarano, Sie waren eine außergewöhnliche Persönlichkeit. Ich verneige mich vor Ihnen und werde Ihren Nachlass – das Wissen über den Zweiten Weltkrieg – in Ihrem Namen weitergeben!