Richterin Amy Coney Barrett: jung, konservativ, umstritten

Für die einen ist sie die Retterin der konservativen Werte, für die anderen eine Gefahr für die Frauenrechte – seit dem 27. Oktober 2020 ist die konservative Amy Coney Barrett die neunte Richterin im Supreme Court der Vereinigten Staaten. Doch wer ist die mit nur 48 Jahren ungewöhnlich junge Frau, deren Ernennung die US-Bevölkerung wenige Tage vor der Wahl noch weiter zu spalten scheint?

Der Supreme Court

Der US-Supreme Court, dem Amy Coney Barrett nun angehört, ist die höchste gesetzgebende Instanz der Vereinigten Staaten und setzt sich aus insgesamt neun Richtern zusammen. Die Richter werden vom amtierenden Präsidenten nominiert, vom Senat nach einer Befragung bestätigt und können ihr Amt dann auf Lebenszeit ausüben. Durch die bewusste Auswahl der Kandidaten kann der Präsident also das politische Geschehen in den USA noch viele Jahre nach seiner Amtszeit beeinflussen.

Zuletzt schied am 18. September dieses Jahres die langjährige, liberale Richterin Ruth Bader-Ginsburg aus dem Supreme Court aus. Als ihre Nachfolgerin nominierte der Präsident nur eine Woche später Amy Coney Barrett – eine umstrittene Wahl, speziell auf Seite der Demokraten. Standen in den letzten Jahren noch fünf konservative Richter vier liberalen gegenüber, verschob sich das Verhältnis nun hin zu einer konservativen 6:3 Mehrheit. Nachdem Amy Coney Barrett ihr Amt voraussichtlich für viele Jahre ausüben wird, ist es umso wichtiger, ihre Laufbahn und Positionen genauer zu betrachten.

Wer ist Amy Coney Barrett?

Amy Coney Barrett absolvierte ihr Studium der Rechtswissenschaften mit Auszeichnung und begann ihre Karriere als juristische Angestellte unter dem konservativen Richter Laurence Silberman am Berufungsgericht der Vereinigten Staaten, bevor sie eine Stelle unter Richter Antonin Scalia am Supreme Court annahm. Viele ihrer juristischen Meinungen und Entscheidungen zeigen den prägenden Einfluss der Jahre unter Scalia, der als eine der konservativsten Stimmen des Rechtssystems bezeichnet wird. Wie auch Scalia ist Amy Coney Barrett eine Vertreterin des Textualismus – jener Denkweise, Gesetze und die Verfassung wortgetreu und ohne Interpretation auszulegen und anzuwenden. Neben ihrer Tätigkeit als Richterin war Amy Coney Barrett einige Jahre als Rechtsprofessorin an der Notre Dame Law School tätig.

Amy Coney Barrett ist verheiratet und Mutter von sieben Kindern. Sie ist Mitglied der katholischen Kirche sowie einer charismatischen ökumenischen Gemeinschaft, den „People of Praise“. Ihr religiöser Hintergrund gab schon mehrmals Anlass zur Frage, welche Rolle ihr Glaube bei ihren Entscheidungen als Richterin zu Themen wie Abtreibung und Todesstrafe spielen würde. Um Amy Coney Barretts Positionen etwas genauer zu beleuchten, wirft man am besten einen Blick auf vergangene Urteile und einige ihrer akademischen Publikationen.

Abtreibung

Zu diesem in den USA sehr umstrittenen Thema hat Amy Coney Barrett mehrmals im privaten Rahmen Stellung bezogen. Aufgrund ihres Glaubens vertritt sie die Einstellung des „Rechtes auf Leben von Befruchtung bis zum natürlichen Tod“, wie es auf einer 2006 veröffentlichten und von ihr unterzeichneten Werbung der Abtreibungsgegner-Gruppe „St. Joseph County Right To Life“ stand. Weiters hat sie sich mehrmals gegen den Präzedenzfall „Roe v. Wade“, der in den Vereinigten Staaten das in der Verfassung verankerte Recht einer Frau auf eine Abtreibung sichert, ausgesprochen. Speziell bei diesem Thema gibt es viel Kritik aus dem demokratischen Lager, nachdem Amy Coney Barretts Vorgängerin Ruth Bader-Ginsburg eine starke Befürworterin des Rechts auf Abtreibung war.

Todesstrafe

Hierzu äußerte sich Amy Coney Barrett in der Vergangenheit mehrmals und vertrat die Meinung, dass katholische Richter aufgrund ihrer persönlichen Befangenheit keine Fälle über die Todesstrafe entscheiden müssen sollen. Während ihrer Zeit am Berufungsgericht stimmte sie jedoch in einigen Fällen für eine Exekution der Angeklagten, was der konservativen Mehrheitsmeinung entspricht.

Affordable Care Act („Obamacare“)

Eine Unbekannte – zumindest vorerst. Am 10. November, nur wenige Tage nach der Präsidentschaftswahl, möchte Präsident Trump eine weitere Abstimmung im Supreme Court halten, mit dem Ziel, den Affordable Care Act (ACA) weiter zu beschneiden. Gerade in Zeiten von COVID-19 ein brisantes Thema, da der ACA die medizinische Grundversorgung von Millionen Amerikanern sichert. Amy Coney Barretts Meinung hierzu ist weitgehend unbekannt, was viele Beobachter unruhig stimmt.

Waffenbesitz

Aufgrund ihrer textualistischen Auslegung der Verfassung ist Amy Coney Barrett keine Befürworterin eines Waffenverbotes und stimmte in der Vergangenheit gegen ein Gesetz, das es ehemaligen Straftäter verbieten sollte, eine Schusswaffe zu besitzen. Interessant ist hier auch, dass in den vergangenen Jahren wenige Fälle mit Waffenbezug im Supreme Court behandelt wurde, da zumindest vier Richter der Verhandlung eines Falles zustimmen müssen. Ohne Ruth Bader-Ginsburg und mit Amy Coney Barrett könnte das Thema dann auch in den obersten juristischen Rängen wieder brisanter werden.

Diskrimierung

In einem Fall zum Thema „Diskriminierung am Arbeitsplatz“ entschied Amy Coney Barrett, dass die schlichte Verwendung des N-Wortes durch einen Vorgesetzten gegenüber einem schwarzen Mitarbeiter noch kein feindliches oder diskriminierendes Arbeitsumfeld ausmacht. Hierzu hatte beispielsweise auch der konservative Richter Brett Kavanaugh eine gegenteilige Meinung, indem er das N-Wort als „das beleidigendste Wort der englischen Sprache“ definierte.

LGBTQ+ Rechte

Während sich die „People of Praise“ klar gegen die praktizierte Homosexualität aussprechen, ist Amy Coney Barrett zu diesem Thema eher still. Bei der Senatsanhörung letzte Woche gab sie auf die Frage, ob das Recht auf die gleichgeschlechtliche Ehe ein Verfassungsrecht ist, keine Antwort. Weiters sprach sie von der „sexuellen Präferenz“, einer Bezeichnung, die oft verwendet wird um anzudeuten, die sexuelle Orientierung sei eine bewusste Entscheidung jedes einzelnen.

Außerdem ist bekannt, dass Amy Coney Barrett jahrelang Mitglied des Vorstandes der Treuhänder von „Trinity Schools Inc.“, eines Privatschulverbandes in Indiana, war. 2014 verabschiedete der Vorstand eine Verordnung, die es Kindern von nicht-verheirateten Eltern verbat, die Schule zu besuchen. Nachdem die gleichgeschlechtliche Ehe zu dieser Zeit in Indiana verboten war, sehen diese Verordnung viele als direkten Angriff auf homosexuelle Paare.

Immigration

Als die Trump-Administration einen Gesetzesvorschlag machte, der es ermöglichen sollte, legalen Immigranten ihren Greencard-Status zu entziehen, sollten sie das Sozialsystem „überlasten“, stellte sich Amy Coney Barrett grundsätzlich auf Trumps Seite, da eine textualistische Auslegung des Gesetzes ohnehin schon eine ähnliche Regelung enthält. Trotzdem warnte sie davor, Gerichtsverfahren zur Schaffung von Gesetzen zu missbrauchen.

Sexualstraftaten

Einem veröffentlichten Schriftstück LP von Amy Coney Barrett ist die Entscheidung in einem Fall zu sexuellem Missbrauch eines jungen Mannes an seiner Freundin auf einem Universitätscampus zu entnehmen. Der Student klagte, nachdem ihm die Purdue University sein Stipendium entzog und ihn für ein Jahr suspendierte. Amy Coney Barrett stellte sich auf die Seite des Klägers und verfasste einen Rechtstext, der es angeklagten Männern, die sexuellen Missbrauch auf einem Universitätscampus begangen hatten, erleichtern sollte, gerichtlich gegen ihre Strafen vorzugehen.

Was erwartet die USA jetzt?

Präsident Trumps Eile bei der Ernennung der neuen Höchstrichterin war kein Zufall, finden doch am 3. November schon die Präsidentschaftswahlen statt. Er erwähnte mehrmals die möglichen Gerichtsverfahren rund um Wahlmanipulationen und Stimmenauszählung, in denen der Supreme Court eine entscheidende Rolle spielen könnte. Nur wenig später nimmt der Supreme Court dann eine wichtige Rolle in der Abstimmung zum Affordable Care Act ein.

Bis dahin werden Amy Coney Barretts Kritiker wohl noch zahlreicher. Obwohl die Demokraten forderten, Ruth Bader-Ginsburgs Nachfolge erst nach der Wahl zu regeln, setzte Präsident Trump seinen Willen durch. Speziell in demokratischen Kreisen erntete das Empörung: Als zu Beginn des Wahljahrs 2016 eine Stelle im Supreme Court zu besetzen war, blockierten die Republikaner die Ernennung von Präsident Obamas Kandidaten. Sie erklärten, dass in einem Wahljahr zunächst der Wille des Volkes in Erfahrung zu bringen sei und man sich darüber nicht hinwegsetzen dürfe. Diese Position dürfte sich in den letzten Jahren wohl geändert haben.

Die nächsten Wochen werden zeigen, wie Amy Coney Barrett ihren Einfluss auf das Rechtssystem der Vereinigten Staaten nutzen wird. Hier bleibt zu hoffen, dass sie ihr Versprechen, persönliche Einstellungen von rechtlichen Entscheidungen zu trennen, hält. Fakt ist jedoch, dass Präsident Trump durch Amy Coney Barretts Ernennung die Macht der Konservativen in den Vereinigten Staaten gesichert hat – unabhängig davon, welche Entscheidung das amerikanische Volk am 3. November trifft.

Dieser Artikel wurde am 2. November 2020 auf dem mittlerweile stillgelegten Portal www.yna.at veröffentlicht.

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